Freitag, 24. September 2010

Gestern starb Martin Büsser im Alter von nur 42 Jahren, laut Wikipedia an Krebs. Für mich war er nicht nur der nüchtenste, sondern auch der klügste der deutschen Popintellektuellen. Er begeisterte sich selbst für das Gute, Wahre und Schöne, das Laute, Schnelle, Harte, Schräge und er begeisterte mit seiner Begeisterung seine Leser dafür. Wenn er das Infame geiselte, dann niemals von oben herab, als Advokat der "Hochkultur".


Büssers Lebenslauf beim Ventil-Verlag

Donnerstag, 23. September 2010

Rückkehr des Blöden

An die Sicherungsverwahrten heften sich merkwürdige Phantasien. Die wahrscheinlich fatalste ist die, sie seien sozusagen Hannibal Lecter - abartige Figuren, von perversen Begierden getrieben, die ebenso abstoßend wie unerklärlich sind. Ach ja, "das Böse", unerklärlich, unausrottbar. Wie nennt nun der Spiegel seine Reportage über die Angst in der Kleinstadt Werl, wo einige Straftäter aus der SV entlassen werden? Erraten: "Die Rückkehr des Bösen"!

Der Bericht bringt so gut wie nichts Neues, allerdings eine informative Graphik über die Anlassdelikte der SV:

Montag, 20. September 2010

Freitag, 17. September 2010


Der Tagesspiegel enthält eine informative interaktive Graphik über die Opfer rechter Gewalt seit 1990.


Und weil gerade so viel vom Wegsperren die Rede ist: Nicht nur die Sicherungsverwahrung wird stetig ausgeweitet, sondern auch der Maßregelvollzug:
Die Zahl der von dieser Haftform Betroffenen hat sich in den vergangenen Jahren stetig erhöht. Nach Informationen des Statistischen Bundesamtes saßen vor 20 Jahren 3 649 Personen für ihre Straftaten in der Forensik. Im Jahr 2009 waren es bereits 9 251 Menschen, das sind knapp 1 000 mehr als im Jahr zuvor.

Das berichtet Marcus Latton in einem interessanten Artikel in der Jungle World von dieser Woche.

Seine Diskussion der Rückfälligkeit ist allerdings, nun ja, falsch, insofern nämlich der Maßregelvollzug bei schwerer Delinquenz nicht besser als die normalen Knäste abschneidet. 10 bis 15 Prozent der Entlassenen werden in beiden Fällen einschlägig straffällig.

Mittwoch, 15. September 2010

Wie zurechnungsfähig ist die deutsche Justizpolitik?


Der Irrsinn um die Sicherungsverwahrung geht weiter (wenn er auch mittlerweile weniger die "große Politik" als die Provinz beschäftigt). Eine kurze Zusammenfassung der Entwicklung - nur um deutlich zu machen, warum "Irrsinn" genau das richtige Wort ist:

Seit 1998 steigt in Deutschland die Zahl der Sicherungsverwahrten sehr schnell an, obwohl es nicht mehr Morde, Vergewaltigungen oder Kindstötungen gibt. Mittlerweile sind die Rechtsgrundlagen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung (SV) so unüberschaubar geworden, dass Fachleute, die es wissen müssen, behaupten, dass "da niemand mehr wirklich durchblickt".

Spätestens seit 2008 werkeln deshalb verschiedene Arbeitsgruppen der Justizministerien der Länder an einer Reform, um die SV handbar zu machen. Teilweise erklären sie, damit die Anwendung auf wirklich schwere Taten und wirklich gefährliche Täter beschränken zu wollen. Bis 1998 mussten alle Verwahrten nach 10 Jahren entlassen werden. Danach wurde die SV aber für eine große Menge von Verwahrten einfach weitergeführt. Eben sie sind die sogenennanten "Altfälle", die nun nach und nach entlassen werden). Im Dezember 2009 urteilte der Europäische Menschengerichtshof, dass diese Verlängerung der SV nicht rechtsmäßig sei. Deutschland ging in Revision, obwohl es dafür eigentlich keine Erfolgsaussichten gab. Im März 2010 mahnte unter anderem der bekannte Kriminologe Arthur Kreutzer in der FAZ:
Die Bundesregierung will sich dem Urteil einer Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht beugen. Aber alles spricht dafür, dass es bei deren Sachentscheidung zur Unzulässigkeit einer rückwirkend angewendeten Sicherungsverwahrung bleibt. (...) Wir müssen uns also darauf einstellen, dass demnächst diese überwiegend wahrscheinlich tatsächlich gefährlichen Gefangenen freizulassen, engmaschig zu kontrollieren, außerdem zu entschädigen sein werden. Es sind siebzig bis hundert Gefangene, die lange Strafen und bis zu zehn Jahre zusätzlicher, unrechtmäßiger Haft hinter sich haben. Sie sind oftmals selbständigen Lebens völlig entwöhnt. Aber wohin mit ihnen? Wer nimmt sie auf? Wie kann man mit ihnen arbeiten, wenn Bewährungshelfer weiterhin mit viel zu hohen Betreuungszahlen belastet sind? Lassen sich Zustände wie bei dem ehemaligen Sicherungsverwahrten in Heinsberg-Randerath - polizeiliche Dauerpräsenz, anhaltende Bürgerproteste, NPD-Mahnwachen - vermeiden?

Im Mai verwarf das EU-Gericht erwartungsgemäß die deutsche Beschwerde. Spätestens da war abzusehen, dass die Altfälle über kurz oder lang entlassen werden müssen. Derweil taten Landespolitiker, die Gefängnisse, Bewährungshilfe

nichts.


Die verschiedenen Oberlandesgerichte gewähren oder verweigern die Entlassung immer noch von Fall zu Fall. Wohin mit diesen Menschen? Was wird getan, um die von ihrnen ausgehende Gefahr zu minimieren? Folgendes: Die Boulevardpresse druckt Karten, wo die Epizentren der Gefahr eingezeichnet sind, die Wohnungen der Entlassenen werden von Journalisten belagert und von Anwohnern mit Steinen beworfen. Teilweise werden die Entlassenen mit einem unglaublichen Aufwand von der Polizei überwacht. Manche wollen angesichtes der Anfeindungen durch Nachbarn und Journalisten ohnehin lieber im Knast bleiben (so geschehen in Berlin). In Freiburg wiederum klagt die Polizei, sie habe nicht genügend Personal für die Observation der Freigelassenen, berichtet die Badische Zeitung.
Die beiden am Freitag entlassenen Männer haben mit Hilfe der Stadt eine vorübergehende Unterkunft gefunden. Wie zu erfahren war, wohnen die drei in Freiburg lebenden Ex-Sicherungsverwahrten an drei unterschiedlichen Orten in der Stadt. Eine gemeinsame Unterkunft sei sicherheitstechnisch nicht sinnvoll, heißt es.
Sollten weitere Sicherungsverwahrte entlassen werden, sieht die Stadt keine Möglichkeiten mehr, bei der Quartiersuche zu helfen, so Bürgermeister Neideck: "Dann bliebe nur noch die Obdachlosenunterkunft", sagt er. Das würde bedeuten: Die Männer könnten zwar in diesen Räumen übernachten, müssten das Quartier aber morgens verlassen und könnten erst abends wieder zurückkehren.

Die Justizministerin stellte Ende Juni einen Reformvorschlag vor, der sofort (vor allem von CDU- und CSU-Politikern) torpediert wurde. Gleichzeitig werden nach und nach immer mehr der Altfälle entlassen. Der Innenminister verfiel im August auf den Ausweg, die "psychisch gestörten" Täter in speziellen Einrichtungen unterzubringen. Nun werden erste Gebäude für diese "Sicherungsunterbringung" auf den Knastgeländen gebaut und entlassene SVer in Psychiatrien untergebracht.
Aber Menschen, die psychisch gestört sind, haben in der SV ohnehin nichts verloren. ("Psychisch gestört" im juristischen Sinne - und auf den kommt es hier schließlich an.) Sie nun für krank zu erklären, um sie weiter wegsperren zu können, mag bequem sein, wird aber vor den Gerichten keinen Bestand haben. Da nützt es auch nichts, dass sich die "Unterbringung" von der "Verwahrung" unterscheiden soll durch mehr Freiheiten und mehr Therapieangebote - was offenbar im Knast nicht passiert. Kurz: Sinn des Gesetzes zur "Sicherungsunterbringung" ("Gesetz zur Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter") sind, im besten, harmlosesten Fall, gute Schlagzeilen in der Bildzeitung. Wie zurechung- und schuldfähig sind die deutschen Justizpolitiker?

Dienstag, 14. September 2010

Sarrazin, die Springer-Presse und halb Deutschland als verfolgende Unschuld


Im Verlauf der öffentlichen Auseinandersetzung um seine in Buchform gepressten rassistischen Ausfälle gelang es Sarrazin und seinen Unterstützern aus Politik und Medien, einen essenziellen zivilisatorischen Mindeststandard in der BRD zu schleifen (...) : Offen rassistische oder antisemitische, klar auf neofaschistischer Ideologie aufbauende Positionen und Äußerungen wurden in der Öffentlichkeit nicht toleriert.

In seinem Blog analysiert Tomasz Konicz die gegenwärtige Hetzkampagne "von und mit" Thilo Sarrazin. Ich bin nicht mit allen seinen Thesen einverstanden, aber Konicz arbeitet hervoragend heraus,

- dass die neue Qualität der Hetze darin besteht, dass nun explizit biologisch und eugenisch argumentiert werden darf

- dass der erschreckende rassistische Sog, den seine Thesen entfalten, sich aus der Angst vor der Krise speist, die die Kleinbürger und Facharbeiter um die letzen Verstandesreste bringt

Es ist, als ob ein Damm gebrochen sei und nun sich eine braune Flut über die Republik ergießt. Endlich will der deutsche Mann ohne Rücksicht auf „politisch korrekte Tabus“ diejenigen Menschen offen hassen und verachten dürfen, die bereits marginalisiert, ausgeschlossen und pauperisiert wurden – ganz wie es Sarrazin vormacht.

Klassisch, aber wohl nicht falsch ist Koniczs (faschismus-)theoretische Erklärung dessen, was wir gerade erleben müssen:
Der Riss in der veröffentlichen Meinung deutet auf einen strategischen Umschwung bei einer Minderheit der Funktionsträger aus Kapital, Meiden und Politik hin, die nun sich eine faschistische Option bei weiterer Krisenbewältigung offenhalten wollen. Sarrazin findet aber nur bei den "reaktionärsten und chauvinistischsten" (Dimitroff) Teilen der Funktionseliten und der herrschenden Klasse der BRD derzeit tatsächlich Unterstützung. Die hohe Abhängigkeit der dominanten deutschen Exportindustrie von den Auslandsmärkten, die gerade vermittels einer erneuten Exportoffensive die Dynamik der Weltwirtschaftskrise zu durchbrechen hofft, verhindert eine weitgehende Unterstützung einer neofaschistischen Partei durch breite Kreise des deutschen Kapitals.

Montag, 13. September 2010

Polizei, nie war sie so wertvoll wie heute!


Kein Land mehr ohne "Sparpaket". So auch Großbritannien, wo die neue Regierung den öffentlichen Sektor radikal beschneiden will. Da hat sich die Vereinigung der Polizeichefs von England und Wales, die Police Superintendents' Association, eine originelle Bergündung ausgedacht, warum gerade sie unverzichtbar sind (berichtet der Guardian). Deren Vorsitzende Derek Barnett argumentiert:
In an environment of cuts across the wider public sector, we face a period where disaffection, social and industrial tensions may well rise. (...) We will require a strong, confident, properly trained and equipped police service, one in which morale is high and one that believes it is valued by the government and public.
Die treffende Guardian-Schlagzeile: Wenn ihr uns kürzt, werden wir mit den Protesten gegen die Kürzungen nicht fertig. Bizarrerweise illustrierte Barnett das mit dem Hinweis auf das Peterloo-Massaker im Jahr 1819, bei dem Soldaten 15 Demonstranten gegen die Weizenpreise umbrachten. Ein bißchen weniger bizarr ist sein Hinweis, daß die gegenwärtige Regierung anders als die Thatchers die Polizei von ihrer Austeritätspolitik nicht verschonen will.

Mittwoch, 8. September 2010

Erwähnenswert, offenbar

Johannes Leithäuser berichtet in der FAZ von heute über den Machtkampf in der britischen Labour Party.
Es sind noch andere Kandidaten im Rennen: die beiden ehemaligen Minister Ed Balls (Bildung), Andy Burnham (Gesundheit) und die farbige Abgeordnete Diane Abbott.

Sic! Wer die jüngste Berichterstattung der Zeitung zur Sarrazin-Hetze kennt, wird sich auch nicht wundern, wenn demnächst in ihren Artikeln hinter der Namensnennung "(Jude)" stehen wird.

Montag, 6. September 2010


Wie so oft bei den Web.de-Schlagzeilen - lachen oder weinen? Diesmal geht es vom "Integrationsverweigerer" (Innenminister de Mazière) zum "Integrationsmuffel". Auf dem Bild abgebildet ist eine solche Mufflerin mit ihrer Integrationsverweigerungshaube in ihrer natürlichen Umgebung. Die Frage, ob man "das Zeug zum Deutschen" habe, darf da natürlich nicht fehlen.

Donnerstag, 2. September 2010

Baden-Württemberg hat unter den Bundesländern die Privatisierung im Strafvollzug am weitestens getrieben. Dort gibt es nicht nur ein "teilprivatisiertes" Gefängnis, an dem der "Sicherheitsdienstleister" Kötter beteiligt ist. Schon 2007 wurde die Bewährungs- und Gerichtshilfe und der Täter-Opfer-Ausgleich der "gemeinnützigen Gesellschaft mit beschränkter Haftung" Neustart übertragen. Das Argument der Landesregierung: Privatisierung spart Kosten.

Wirklich? Der Landesrechnungshof hat sich in seiner diesjährigen Denkschrift mit der Privatisierung beschäftigt und kommt zu folgendem Ergebnis:
Mit dieser Aufgabenübertragung wollte das Land eine Effizienzrendite von 10 bis 15 Prozent erzielen und die Qualität steigern. Tatsächlich ist die Aufgabenerledigung durch einen privaten Träger 47 Millionen Euro teurer als die Eigenbesorgung des Landes. Das Land sollte den Vertrag mit der Gesellschaft kündigen oder zumindest das vereinbarte Entgelt absenken.

Übrigens hat keine Zeitung auf diese Pressemitteilung reagiert.

Unterdessen spielen sich in der teilprivatisierten Anstalt in Offenburg merkwürdige Dinge ab. Angestellte von Kötter, die die Knast-Werkstätten betreuen, begrüßen Gefangene kumpelhaft mit "Abklatschen"und halten sich nicht an die Sicherheitsauflagen, sofern diese die Produktion behindern. Eine Sozialarbeiterin hat angeblich sogar einen Häftling geküßt.
Das wenigstens könnte eine gute Wirkung der Privatisierung sein: dass die von Köter mehr schlecht als recht bezahlten Aufseher sich den Gefangenen weniger überlegen als fühlen die beamteten Schließer mit ihrem Berufsstolz. Kein Wunder - laut einer Anfrage der SPD zu den Zuständen in der JVA Offenburg verdienen sie „teils kaum mehr als 7 Euro“ für eine Stunde Gefängnisdienst.