Montag, 30. Mai 2016

Rette sich, wer kann! Die Roboter greifen an ...

.. oder doch nicht? Gibt es wirklich - wie in der Industrie 4.0-Debatte oft behauptet - gewaltige Automatisierungspotentiale in den Fabriken? Wie wird sich die Arbeit verändern? In einem neuen Artikel für die Wochenzeitung versuche ich, Fakt und Fiktion zu trennen.

Mit einer historischen Anekdote, der Geschichte von "Eric Robot", versuche ich zu zeigen, dass die Hochstapelei immer ein wichtiger Bestandteil der Robotik war und bis heute geblieben ist. Englische Modellbau-Enthusiasten fertigten ihn in den 1920er Jahren, zur Eröffnung der Jahresversammlung der Britischen Modellbau-Gesellschaft.
Der sprechende Roboter war etwa anderthalb Meter hoch, konnte sich aus einer sitzenden Haltung aufrichten und den Oberkörper nach vorne neigen, wie bei einer Verbeugung. Nach seiner Ansprache beantwortete Eric Fragen aus dem Publikum und kannte die korrekte Uhrzeit. Seine Sprachfähigkeit beruhte auf einem eingebauten Funkgerät, das die Antworten eines Menschen wiedergab, was Erics Erfinder allerdings für sich behielten.

Heute lässt kaum noch verstehen, warum „Eric, der mechanische Mensch“ das Publikum und die Presse so erregte und faszinierte. Seine Augen bestanden aus Glühbirnen, die rhythmisch aufleuchteten, während er sprach, sein Gesicht aus gebogenen Blechplatten. Eine Schönheit war der Roboter wirklich nicht; die zahlreichen zeitgenössischen Berichte schwanken zwischen Mitleid und Abscheu.

Trotzdem wurde Eric zu einer Berühmtheit, und seine Erfinder nahmen ihn mit auf Tournee nach Amerika, Australien und Kontinentaleuropa. In einem Interview erklärte einer von ihnen, der Modellbauer William Richards, wegen seinen beschränkten motorischen Fähigkeiten könne Eric bisher nur Löcher in Holz oder Metall bohren. „Zwei Leute müssen ihn dabei unterstützen; unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten lohnt er sich also nicht.“ Allerdings fügte der Erfinder hinzu: „Wozu verbesserte Roboter in der Lage sein werden, das wird sich erst in der Zukunft herausstellen.“

Ist das aufsehenerregende Produkt der Firma Boston Dynamics, "Atlas" nur die jüngste Episode in der Geschichte der Robotik / Hochstapelei? Seit Anfang des Jahres kursieren Gerüchte, denen zufolge Google, der Mutterkonzern von Boston Dynamics, den Roboterhersteller am liebsten wieder loswerden möchte. Man sehe „in den kommenden Jahren kein vermarktbares Produkt“. Angeblich haben Toyota und Amazon Interesse bekundet – Firmen, für die Logistik eine große Rolle spielt. Die Medienoffensive mit Atlas ist wohl in diesem Zusammenhang zu sehen.
Bis jetzt machen autonome Roboter wie ihr Vorfahre «Eric Robot» in der Praxis oft mehr Mühe, als dass sie die ArbeiterInnen entlasten. Je autonomer und komplexer sie agieren – und je enger Mensch und Maschine zusammenarbeiten –, desto grösser wird womöglich der Arbeitsstress. Die Roboter halten in der Regel an, sobald ein unbekanntes Objekt in ihr Sensorfeld tritt. Ihre menschlichen KollegInnen müssen deshalb darauf achten, dass sie dem Apparat nicht zu nahe kommen, sonst stoppt die Produktion. Beschäftigte müssen einem fahrenden Roboter ausweichen, der sie nicht erkennt. Unflexible und unausgereifte Roboter zwingen die Arbeiter, sich den Abläufen und Fähigkeiten der Maschine anzupassen.
Immerhin: erfolgreiche Hochstapelie ist auch eine technische Leistung. Besteht vielleicht darin der Antrieb des Fortschritts, in der immer ausgefeilteren Täuschung des Publikums, der Imitation? Wie auch immer, die unausgeschöpften "Automatisierungspotentiale" liegen in Wirklichkeit anderswo - nämlich in einer optimierten Steuerung der vernetzen Produktion, anders gesagt: in einem digitalen Taylorismus.
Weil immer mehr Maschinen und teilweise auch Werkstücke mit Sensoren und Funketiketten ausgestattet sind, entsteht ein immer detaillierteres digitales Abbild des Produktionsprozesses. Daten aus den verschiedenen Prozessen können nun zusammengeführt und die Datenbanken permanent mit Messwerten aus dem laufenden Betrieb aktualisiert werden. Auf dieser Grundlage wird es möglich, die Abläufe automatisch und in Echtzeit zu überprüfen und zu verbessern.
Solche selbstoptimierenden Systeme sind bereits in der Entwicklung. Programme suchen mit automatischer Mustererkennung nach den optimalen Werten für eine Industrieanlage, etwa nach dem besten Verhältnis von Temperatur zu Druck in den Kesseln einer Chemiefabrik. Die Verfahren beruhen auf den gleichen Sortier- und Pfadfinderalgorithmen, die in Routenplanern wie Google Maps zum Einsatz kommen.
Solche Systeme steuern aber nicht nur Industrieanlagen, sondern auch Menschen – etwa wenn sie die Reihenfolge der zu erledigenden Arbeitsschritte vorgeben. Erhält die Firma einen wichtigen Auftrag, zieht das System die entsprechenden Arbeiten vor. Stillstand wird vermieden, die Anlagen optimal ausgelastet – ebenso wie ihre BedienerInnen.

Donnerstag, 19. Mai 2016

Machtlos in der Cloud?

Wer sind die Crowdworker in Deutschland? Bei Telepolis ist vor einen Tagen ein Bericht von mir über eine neue Studie zum Thema erschienen. Dabei geht es mir auch um die Grenzen dieser Rationalisierungsstrategie.
Der besondere Charme des Geschäftsmodells Crowdsourcing beruht auf der Tatsache, dass sowohl die Vermittlungsagenturen, als auch die beauftragenden Unternehmen Risiken und Kosten auslagern. Sie behandeln die Beschäftigten als Selbständige, die sich eigenständig gegen Krankheit, Arbeitslosigkeit und Erwerbsunfähigkeit versichern sollen. Dazu sind zwar nur wenige Freelancer finanziell in der Lage (und noch weniger in ausreichendem Maß), aber bekanntlich müssen sich weder die Auftraggeber noch die Vermittler darum kümmern. Statt Arbeitsverträgen gelten die Allgemeine Geschäftsbedingungen.

... Die Unternehmen profitieren nicht nur von den unschlagbar niedrigen Crowdwork-Honoraren. Über das Netz können sie auf Erfahrungen und Ideen der Masse zugreifen, die in der eigenen Belegschaft in geringerem Umfang vorhanden sind. Gerade diese Offenheit ist aber gleichzeitig ein Nachteil, wenigstens eine Gefahr. Unternehmen müssen sich öffnen, um die Masse "anzuzapfen", wer aber wichtige Tätigkeiten ins Netz auslagert und Prozesse offen legt, der riskiert, dass "Geschäftsgeheimnisse" nach außen dringen.

Crowdsourcing ist außerdem nur dann effizient, wenn Solo-Selbständige die Aufträge bearbeiten. Bei anspruchsvolleren Tätigkeiten und Geschäftsprozessen entsteht sonst oft ein zusätzlicher Aufwand - ökonomisch gesprochen: zusätzliche Transaktionskosten -, um die einzelnen Arbeiten erst zu zerstückeln, dann wieder zusammensetzen und schließlich noch auf ihre Funktionsfähigkeit zu überprüfen.

Die "Auftragsnehmer" sind außerdem nicht weisungsgebunden und arbeiten gewissenhaft, weil sie eine schlechte Bewertung fürchten, nicht aus Loyalität zum Unternehmen. Schon um Pfusch zu vermeiden und Kontrollkosten zu senken, sind die Unternehmen weiterhin an stabilen und langfristigen Beziehungen interessiert - Internet hin oder her.

Montag, 2. Mai 2016