Mittwoch, 21. Januar 2015

Von der Selbst- zur Fremdvermessung?

Als der Versicherungskonzern Generali Ende des letzten Jahres ankündigte, er werde günstigere Krankenversicherungen verkaufen, wenn Kunden im Gegenzug regelmäßig Sport treiben und dies über ein kleines Smartphone-Programm auch nachweisen, geriet das deutsche Feuilleton in Aufregung und sprach von
der Erfindung des elektronischen Patienten (Süddeutsche)Big Brother (Welt)ein Kulturbruch (FAZ)
Die wohl schwächste analytische Leistung lieferte damals Niklas Maak in der FAZ, der ebenso hochtrabend wie ahnungslos raunte:
was gesund ist und wie wir leben sollen, definieren zurzeit vor allem private Konzerne wie Generali, Allianz oder Axa und deren Algorithmen. … Mit dem Telemonitoring fällt die Grenze, die den Körper als einen Raum des Privaten, Intimen und unbedingt Geschützten definiert.
Solche Bonusprogramme funktionieren so: Die Versicherten installieren ein Computerprogramm auf ihrem internetfähigen Mobiltelefon und dokumentieren damit, dass sie an bestimmten medizinischen Untersuchungen teilnehmen oder (mithilfe des eingebauten Beschleunigungssensors des Telefons) Sport treiben oder Tagebuch über ihre Ernährung führen.

Kein Bericht vergaß zu erwähnen, dass es sich bei der geplanten

Veröffentlichung unserer Körper
um den ersten Versuch dieser Art in Europa handle, um einen "Tabubruch" eben. Dass sich die Aufreger sozusagen den falschen Aufhänger gesucht haben, fällt eigentlich nur am Rande ins Gewicht (wenn es auch ein deutlicher Hinweis darauf ist, wie tief das Niveau des deutschen Feuilletons gesunken ist). Denn deutsche gesetzliche Krankenversicherungen betreiben schon lange solche Bonusprogramme - DAK, Daimler BKK, Techniker - bei denen sich die Versicherten bisher allerdings nur recht geringe Preisnachlässe erarbeiten können. Die Versicherungen tun das auch mit Hilfe von Smartphone-Apps, aber auch mit den bekannten analogen Bonusheften.

Nein, das war nicht das Schlimme an dieser Debatte, sondern ich war schockiert, wie hilflos und schwächlich die liberale Kritik in der Debatte um das Projekt Generalis war.

Donnerstag, 15. Januar 2015

Dienstag, 13. Januar 2015

Je suis Charlie – mais qui est-ce?

Wer in diesen Tagen so unvorsichtig ist, Radio, Fernsehen oder Internet zu nutzen, merkt: Jetzt soll die Zeit der Verbrüderung sein. Wir alle sind "Charlie", der Sarkozy, vielleicht sogar Le Pen, die Merkel, ich und meine Tante.

Ich habe mich lange Zeit in der Debatte über den Islamismus recht weit aus dem Fenster gelehnt. Ich bin immer noch überzeugt: Es gibt nur wenige Salafisten unter den Muslimen (wie immer wir diese Gruppe definieren wollen). Es gibt noch weniger jihadistische Salafisten. Einer Reformation und Säkularisierung in der muslimischen Welt und der muslimischen Diaspora stehen zwar besondere Hindernisse entgegen, theologische, aber auch Rassismus und Marginalisierung. Aber dies sind überwindbare Hindernisse, tatsächlich hat eine Säkularisierung längst begonnen, auch wenn islamistische Parteien in einigen Ländern an die Regierung gekomen sind.

Jetzt höre ich die Kommentare zu den Anschlägen in Frankreich - und wundere mich, wie unpolitisch, wie psychologisierend und naiv über die Täter geredet wird, wie verharmlosend das alles auf einmal klingt.

Montag, 12. Januar 2015

Ein jeder seiner Gesundheit Schmied?

Wer ist für die eigene Gesundheit verantwortlich? Viele glauben, jeder ganz allein. Aber geht das überhaupt? Wenn, mit den Worten des ehemaligen Gesundheitsministers Daniel Bahr gesprochen, "eine Solidargemeinschaft nur funktioniert, wenn jeder tut, was er kann, um gesund zu bleiben" - womit zum Teufel sollte er anfangen?

Ich habe der Sendung "Vis á vis" bei RBB Inforadio ein Interview zum Thema gegeben, das hier zu finden ist. Erstaunlich, wie kohärent ich klingen kann, solange ich ein Mikrophon vor der Nase habe ...

Samstag, 10. Januar 2015

Ich gehe durch das nördliche Neukölln, mit einer Symphonie des späten Dmitri Shostakovich auf den Ohren. "Erledigungen machen." Aber Shostakovich, der kommt mit.
Schwarze Streicher.
Verlassene Trompete.
Verzweifelte Melodien.

Nach einer Weile stellen sich, ungefähr in der Mitte zwischen Bäcker und Schuhgeschäft, Selbstmordgedanken ein.
Dann der dringende Wunsch, mich dem Rotfrontkämpferbund anzuschließen.
Den gibt es nicht mehr.
Spielerische Selbstmordgedanken.

Freitag, 9. Januar 2015

"Streitschrift für eine egalitäre Gesellschaft"

Peter Nowak rezensiert "Mythos Vorbeugung" in der aktuellen Ausgabe der Sozialistischen Zeitung:
Becker zeigt auf, dass gerade im Zuge der jüngsten Weltwirtschaftskrise in Ländern wie Griechenland und Spanien Krankheiten, die bisher als beherrschbar galten, wieder eine tödliche Gefahr, vor allem für arme Menschen, werden. Sein gut lesbares und dennoch informatives Buch ist auch eine Streitschrift für eine egalitäre Gesellschaft – gegen die Privatisierungstendenzen, die auch im deutschen Gesundheitswesen unübersehbar sind.

Donnerstag, 8. Januar 2015

"Eine gesellschaftliche Verhältnisarchitektur, die ein sinnvolles Lebens ermöglicht"

Peter Moeschel bespricht "Mythos Vorbeugung" in Spectrum, der Literaturbeilage der österreichischen Presse.
Becker ist kein medizinfeindlicher Querulant. Sein Verdienst ist es vielmehr, einen materialreichen und differenzierten Überblick über die fachlichen Kontroversen zum Thema Vorsorge zu bieten. Wenn er dabei eine kritische Position bezieht, so doch nur auf Basis von fundierten Argumenten.
Danke für die Blumen! Eine Fundamentalkritik an "der Medizin" ist von mir bestimmt nicht zu erwarten. Ich glaube nämlich an die heilende Kraft von Aspirin, an die Macht der Antibiotika (auch wenn die gerade nachlässt), ich glaube an die geoffenbarte Wahrheit der Statistik und den Satz von Bayes über bedingte Wahrscheinlichkeit.

In gewissem Sinn bin ich sogar ein Anhänger der sogenannten Schulmedizin - aber einer, der deren Grenzen sieht und versteht, dass Gesundheit anderswo entstehen muss als in der Arztpraxis. Das glauben viele praktizierende Mediziner, nebenbei bemerkt, auch; sie wissen es aus eigener Erfahrung.

Mittwoch, 7. Januar 2015

"Gesellschaftskritik, die sich nicht in Reformschlingen verheddert"

Der Sozialwissenschaftler Arnold Schmieder hat die bisher gründlichste und interessanteste Rezension von „Mythos Vorbeugung“ verfasst - zu finden auf Socialnet - und mich damit glücklich gemacht. Klänge es nicht so pathetisch, würde ich laut rufen:

"All die Mühen, die tränenden Augen und die Rückenschmerzen von der ganzen Internetrecherche, die hohen Ausgaben für Kaffee und Kaugummi und die ausbleibenden Einkünfte - sie haben sich gelohnt!"

Denn Schmieder fasst nicht nur meine Argumentation klar und vollständig zusammen, sondern er denkt auch die Probleme weiter, die ich im Rahmen eines populären Sachbuchs nicht ausführen konnte und die daher nur unter der Text-Oberfläche behandelt werden. Sein schmeichelhaftes Fazit:
Ein Weiterdenken auf Gesellschaftskritik, die sich nicht in Reformschlingen verheddert, regt er an. Nicht nur damit legt er ein Buch vor, das in universitären Seminaren, die mit dieser Thematik befasst sind, einen prominenten Stellenwert für die Diskussion einnehmen dürfte und sollte, sondern die Lektüre wird für all diejenigen gewinnbringend sein, die in Bezug auf die sie entfallenden Präventionsgebote ein "feines Gespür" dafür haben, "ob ihre Meinung lediglich gefragt ist oder entscheidet" – und die sich eine ausgewogene und abwägende Meinung bilden wollen, die zu wissensgesättigten Entscheidungen befähigt und berechtigt.
Besonders interessant sind Schmieders Anmerkungen zum Schlaf und seiner gesellschaftlichen Regulation.