Es gibt keine Indizien dafür, dass SARS-CoV-2 synthetisch erzeugt wurde, und auch keine, dass die ersten Patienten in Wuhan Kontakt zu biowissenschaftlichen oder medizinischen Labors hatten. Prinzipiell möglich ist es dennoch, dass Erreger aus einem Labor entweichen und Infektionsketten auslösen. Es wäre nicht das erste Mal:
Als im Jahr 1967 Affen aus Uganda für die Impfstoffproduktion nach Deutschland eingeführt wurden, brachten sie eine Zoonose mit. Der Ausbruch in Marburg kostet sieben Menschen das Leben, lange bevor das „Marburg-Virus“ Todesopfer in Afrika forderte. 1978 infizierte sich im englischen Birmingham eine Person mit einem Pockenvirus aus einem Labor und starb. 2010 verbreitete sich in Südengland die Maul- und Klauenseuche wegen einer defekten Abwasseranlage in einer Forschungseinrichtung. Das erste SARS-Coronavirus entkam 2003 und 2004 mindestens viermal aus Forschungseinrichtungen in China, Taiwan und Singapur. Weitere Beispiele ließen sich anfügen.Für die medizinische Forschung werden Erreger gesammelt, über weite Strecken transportiert und vermehrt. Da kann es nicht wundern, dass diese Forschung zu einem "überregionalen Vektor" für Krankheiten wird. Und je mehr Experimente mit hochgefährlichen Erregern stattfinden, umso größer ist naturgemäß die Wahrscheinlichkeit einer unbeabsichtigten Freisetzung. Lohnt sich das?
Ich habe die Debatte zum Anlass genommen, um die Situation in Deutschland zu betrachten. Ich wollte herausfinden: Findet hierzulande überhaupt sogenannte gain of function-Forschung statt, bei der Pathogene fitter gemacht werden als sie bereits sind? Wie gefährlich sind solche Experimente? Und wie sind die Labore gesichert?
Das Recherche-Ergebnis: schwer zu sagen. Die Situation ist nämlich wenig transparent.
Wie es um die Biosicherheit wirklich steht, ist beinahe unmöglich herauszufinden. Die Zahl der Störfälle und versehentlichen Infektionen wird nicht bundesweit erfasst und schon gar nicht veröffentlicht. Theoretisch müssen Unfälle und Störfälle gemeldet werden, aber nur bei der kommunalen Gewerbeaufsicht.Im Rahmen dieser Recherche habe ich übrigens im August auch das Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales angeschrieben und als Antwort erhalten:
Eine Anfrage bei zehn Behörden in Regionen, wo sich Labore der Sicherheitsstufe 3 und 4 befinden, ergibt ein merkwürdiges Bild: Kaum eine kann sagen, wie häufig Störfälle und Unfälle waren. Bei vielen sind im vergangenen Jahrzehnt überhaupt keine Meldungen eingegangen, selbst dort, wo sich die biologische Forschung konzentriert. Sechs Meldungen seit 2006 betrafen technische Störungen, etwa automatische Türen oder Abluftfilter. Eine einzige Meldung aus dem Jahr 2009 betraf einen Arbeitsunfall, der eine Infektion auszulösen drohte.
Meldungen zu Unfällen und Betriebsstörungen sind nicht eingegangen. Entsprechende Vorkommnisse sind uns auch aus anderen Quellen (Polizei, Gesundheitsbehörden) nicht bekannt geworden.Nun wird bekannt, dass bereits Ende Juli in einem Labor des Virchow-Klinikums Q-Fieber ausgebrochen ist. Die Rede ist einmal von 20 Infizierten, dann wieder von 15. Ob es darunter sekundäre Infektionen - von Mensch zu Mensch - gab, und auf welcher Sicherheitsstufe gearbeitet wurde, ist ebenfalls unklar.