Sonntag, 27. April 2014

Tiefer Staat, deutsche Presse abgetaucht: ein "Land im Ausnahmezustand"

Eines der Verbindungsglieder zwischen Staatsschutz, Geheimdiensten und den NSU-Terroristinnen ist tot. Der Spitzel "Thomas Richter", Deckname „Corelli“, weiß Der Spiegel , stirbt
laut Sicherheitskreisen an den Folgen einer zuvor nicht erkannten Diabetes-Erkrankung. Offenbar ausgestattet mit einer neuen Identität lebte "Corelli" zuletzt in einer Wohnung im Raum Schloß Holte-Stukenbrock, in der auch seine Leiche gefunden wurde. Die Ermittlungen erbrachten nach SPIEGEL-Informationen bislang keine Hinweise auf eine "Fremdeinwirkung".
Das ist natürlich nicht
merkwürdig.
Das wirft auch nicht, wie Die Süddeutsche meint,
Fragen auf.
Das stinkt zum Himmel! Micha Brumlik und Hajo Funke finden in ihrem Kommentar in der taz die richtigen Worte für diesen

Klassiker aller unaufgeklärten und nicht aufzuklärenden Todesfälle: einen „unentdeckten“ Diabetes.
„Corellis“ Tod beschert jener größtmöglichen Koalition aus CDU, SPD und selbst ernannter Bürgerrechtspartei Die Grünen eine Atempause. Sind es doch die Grünen, die vor allem in Stuttgart, wo sie regieren, alles daransetzen, eine rückhaltlose Aufklärung zu hintertreiben.
Glücklicherweise haben die Autoren dieses ausgezeichneten Kommentars ein Renommee, das ausreichend groß ist, um zu verhindern, dass sie mit Sprechblasen wie "Verschwörungstheorie" oder "Spekulationen" niedergekeift werden können. Brumlik und Funke legen mit ihrem Text, der in der veröffentlichten Meinung mutterseelenallein steht, den Finger auf die Wunde und nennen die Sache beim Namen. Wir haben es aller Wahrscheinlichkeit nach mit Strukturen eines tiefen Staats zu tun und mit
einer schleichenden Staatskrise hinter dem mörderischen und rassistischen Kriminalfall NSU

Die deutsche Situation stellt sich noch dramatischer dar (als in der Türkei), führen doch hier nicht nur Dienste und Behörden ein politisch unkontrolliertes Eigenleben, sondern die gewählten demokratischen Institutionen selbst schirmen dieses Eigenleben vor der Öffentlichkeit ab. Es war der nationalsozialistische Staatstheoretiker Carl Schmitt, der feststellte: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“ Der NSU-Skandal, dieser noch nicht deutlich genug als Ausnahmezustand erkannte Fall von bewusstem und gewolltem Staatsversagen, beweist, dass Teile der Institutionen aktiv daran beteiligt sind, an die Stelle des demokratischen Souveräns die Souveränität vermeintlicher Staatsschützer zu setzen.
Und die deutschen Medien? Im internationalen Vergleich so angepasst, feige und staatsgläubig wie keine andere (Ausnahme Iran? Kasachstan?) versagen sie auf ganzer Linie. Nachfragen? Investigative Recherchen? Muckracking? Oh nein, wir könnten uns das Hemd schmutzig machen! Die Süddeutsche beginnt ihren pflichtschuldigen Bericht über „Richters“ Tod so:
Diabetes kann eine tückische Krankheit sein, er ist eine der weltweit häufigsten Todesursachen. Besonders gefährdet sind Menschen, bei denen der Diabetes gar nicht erkannt worden ist. So soll es beim Spitzel "Corelli" gewesen sein, einem Neonazi, der jahrelang dem Bundesamt für Verfassungsschutz zu Diensten war.
Wie häufig bleibt ein schwerer, offenbar lebensbedrohlicher Diabetes vom Erkrankten unentdeckt? Bei einem nicht besonders alten Mann? Hat irgendein Journalist einen Diabetologen gefragt? Warum dichtet Autor Tanjev Schulz diesen Einstieg, distanziert sich von der offiziellen Version mit dem Konjunktivwörtchen „soll“, nachdem er den Lesern Allerweltsweisheiten über Todesursachen mitgeteilt hat, um schließlich auf "Richters" Ableben zum genau richtigen Zeitpunkt mit keinem Wort mehr einzugehen?
Wie oft müssen sie von den Polizeibehörden noch angelogen werden, bis bundesdeutsche Journalisten wenigstens anfangen, ein schüchternes Fragezeichen hinter deren Aussagen zu machen? Von dieser Presse ist kein Widerstand gegen eine Faschisierung der Staatsapparate zu erwarten.

Hajo Funke bloggt hier.