Montag, 27. Oktober 2014

Von Medizin und Moral

Am Samstag ist bei Telepolis ein (recht kurzer) Auszug aus meinem Buch Mythos Vorbeugung erschienen.
Dick zu sein, das stand traditionell für »Maßlosigkeit und Sünde, Müßiggang und Laster«, stellt Christoph Klotter fest. Der Protestantismus verschärfte die überlieferte Abneigung gegen die Dicken noch einmal, weil er (moralische) Eigenleistung und Askese zur Glaubenspflicht machte. Das Stigma traf allerdings selten die Wohlhabenden und Mächtigen, denn deren Fleiß und wirtschaftliche Produktivität schienen außer Frage zu stehen.

Seit dem Zweiten Weltkrieg konnten in Mitteleuropa und Nordamerika auch die unteren Schichten ausreichend Kalorien bekommen. Nun wandelte der dicke Bauch seine soziale Bedeutung. Seitdem steht Fettleibigkeit stellvertretend für die Armen und Ausgegrenzten, für angeblich überflüssige und maßlose Esser. Ausdrücke wie »sitzende Lebensweise« und »exzessive Kalorienaufnahme« sind dafür quasi-medizinische Chiffren. Der Kampf gegen die Fettleibigkeit speist sich aus Vorurteilen über die Ernährungs- und Lebensgewohnheiten der unteren Klassen.

...