Mittwoch, 1. Dezember 2021

Warum kann die WHO kaum noch etwas durchsetzen?

Bilaterale Impfdiplomatie: ein Geschenk der Volksrepublik China

Eigentlich banal: eine Epidemie muss nicht zur Pandemie werden! Länder können den Ausbruch eines Krankheitserregers auch eindämmen. Dazu müssen sie allerdings Informationen und medizinische Ressourcen teilen, miteinander kooperieren, "an einem Strang ziehen". In der Covid-19-Pandemie tun die Staaten bis heute das gerade Gegenteil. Sie schotten sich ab, horten ihre Ressourcen und schieben anderen die Schuld zu. Zwischen ihnen, mehr oder weniger hilflos, die Weltgesundheitsorganisation, die mit eigenen Problemen zu kämpfen hat.

Für WDR 5 haben ich ein Feature über die Dauerkrise der WHO gemacht.

Heute hat die Weltgesundheitsversammlung in Genf übrigens beschlossen, in Verhandlungen über einen Pandemievertrag einzutreten, wie es unter anderem Deutschland gefordert hat. Im Fall internationaler Gesundheitsnotlagen (wie beispielsweise Covid-19) soll die WHO mehr Rechte bekommen. Aber die Interessen der Großmächte und verschiedenen Blöcke liegen weit auseinander. Ich bin skeptisch, ob dieser Vertrag mehr sein wird als eine weitere internationale Vereinbarung voller unverbindlicher Formulierungen und ohne praktische Bindungskraft, so wie die Internationalen Gesundheitsvorschriften. Auch sie sind "völkerrechtlich verbindlich" und werden von Regierungen und Administration notorisch ignoriert.

Das Problem ist nicht in erster Linie ein medizinisches oder biologisches, sondern ein politisches. Zugegeben, dass die gegenwärtige Pandemie zu einem solchen Fiasko wurde, liegt auch an der Stärke der nationalen Pharmaindustrien, die offenbar in der Lage sich, die Impfstoff-Produktion mit ihren Patenten zu verknappen. Aber ihr kommerzielles Interesse ist weniger wichtig als das machtpolitische Interesse der Staaten, die mit Impfungen und Einreiseverboten Geopolitik betreiben.

Die Krise der WHO ist Ausdruck der Krise des Multilateralismus (genauer: dem Fehlen einer stabilen Weltordnung mit klarer Hegemonie). Sie war immer schon eine Arena der Diplomatie und geopolitischen Auseinandersetzung. Neu ist, dass sich die Kämpfer in dieser Arena kaum noch auf die Spielregeln einigen können.

Die Anfänge der internationalen Zusammenarbeit für die Seuchenkontrolle liegen im 19. Jahrhundert. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dies zu einer Kernaufgabe WHO. In ihrer Gründungsakte von 1946 heißt es:

Die Gesundheit aller Völker ist eine Grundbedingung für den Weltfrieden und die Sicherheit … Ungleichheit zwischen den verschiedenen Ländern in der Verbesserung der Gesundheit und der Bekämpfung der Krankheiten, insbesondere der übertragbaren Krankheiten, bildet eine gemeinsame Gefahr für alle.
Krankheitserreger zu bekämpfen, das liegt im wohlverstandenen Eigeninteresse - oder eben nicht. Denn vielleicht trifft die Seuche den Konkurrenten härter als einen selbst. So übel steht es wohl um das gegenwärtige Staatensystem.