Mittwoch, 24. September 2025

Agrarindustrialisierung: Flucht nach vorne

Durch die Recherche für Bodenlos wurde mir klar, dass die ökologische Krise das Agrarsystem längst verändert. Die Betriebe passen sich notgedrungen an die neuen Umwelt- und Anbaubedigungen an. Damit ist aber keineswegs gesagt, dass sie zukünftig ökologisch nachhaltiger wirtschaften, im Gegenteil! Bleibt die Anpassung den Marktkräften überlassen, greifen viele Erzeuger zu Notlösungen, die entweder langfristig schaden oder aber anderswo / anderen Menschen schaden.

In meinem Buch spielt der bodenlose Anbau - Pflanzenbau in abgeschotteten Anlagen - die Rolle eines Leitmotivs. Der Rückzug vor der feindlichen Umwelt soll die Effizienz abermals steigern, gleichzeitig aber auch Schutz bieten vor Sturm, Hitze und Schädlingen. Dieser Trend findet sich auch in der Fleisch und Fischproduktion.

Geschlossene, daher geschützte Systeme verbreiten sich über den Obst- und Gemüsebau hinaus. Zum Beispiel werden Fische und Meerestiere zunehmend in einer »super-intensiven« Aquakultur an Land gemästet. Diese Entwicklung macht den Zusammenhang zwischen Heißzeit und technischer Innovation besonders deutlich: Die Aquakultur im offenen Meer hat lokale Lebensräume und Lebensgemeinschaften fast zugrunde gerichtet. Nun sucht die Branche nach einem Weg für den geordneten Rückzug – und will ihre Nutztiere gleich mitnehmen.
Vor kurzem hatte ich die Gelegenheit, eine Aquakultur-Kreislaufanlage auf dem Festland zu besuchen. Meine Reportage ist nun im Freitag erschienen. Es geht darin um die unvermeidliche Ökobilanz - klare Antwort: kommt drauf an! -, die allmähliche Entwicklung der Fischzucht zu einer Tierindustrie und nicht zuletzt um die Fische, die eine künstliche Umwelt bewohnen.
In der Halle ist es dunkel und still. Nur die elektrischen Pumpen und Ventile sirren leise und monoton. Der schmucklose Raum könnte ebenso gut als Fabrikhalle dienen. Aber statt Maschinen stehen hier meterhohe Becken aus grünem Hartplastik. Darin etwa einhunderttausend Liter Wasser, darin wiederum einhunderttausend Fische. Zander, genauer gesagt. Ihre Schuppenhaut schimmert silbrig grün und blau. Die kreisrunden Augen leuchten wie die von Katzen, wenn sie das Licht einer Taschenlampe trifft.
Als die Tiere ein elektronisches Piepen hören, geraten sie in Aufregung. An einer Schiene an der Hallendecke entlang fährt, mit einem unangenehm kreischenden Geräusch, eine Art Roboter. Die Zander schwimmen in die Mitte der Becken, drängeln sich um die besten Plätze unter der Schiene. Kleine Kügelchen Fertigfutter fallen nach unten, die Fische schnappen sie, bevor sie im Wasser versinken.

Montag, 22. September 2025

Fun fact # 78: Berufung

Der Maler Franz Lenbach schuf insgesamt 80 Portraits von Otto von Bismarck.

Freitag, 19. September 2025

Dienstag, 16. September 2025

Hat da jemand stochastischer Papagei gesagt?

Das Laufband als Allegorie

Für die Sendung Andruck habe ich Yves Pagès Buch Endlose Ketten besprochen. Das Laufband, eine Erfindung des späten 18. Jahrhunderts, gehört zu den Basisinnovationen, die unterschiedlichste Funktionen erfüllen. So transportieren Laufbänder Teller mit Sushi zu Restaurantgästen oder verschaffen Haustieren Bewegung oder erleichtern den Weg durch den Flughafen und, natürlich, disziplinieren die Fabrikarbeiter. Insofern gewagt von Pagès, das endlose Band zum Leitmotiv einer historischen Darstellung zu machen. Es funktioniert, weil es ihm nicht um historische Exaktheit geht, sondern um Inspiration und Kritik. Das Fließband dreht sich um sich selbst, glaubt er, so wie der kapitalistsche Fortschritt. Dass immer mehr Menschen auf den Laufbändern in den Fitness-Studios immer mehr Kilometer zurücklegen, versinnbildlicht für ihn, wie tautologisch, selbstbezügliche und sinnlos die Vergesellschaftung geworden ist. Und zum Schuss - ganz überraschend, denn davon ist vorher keine Rede - schlägt er einen Bogen zur ökologischen Krise:
Heute geht es darum, das postmoderne Sinnbild dieses Denkens zu hinterfragen: das ohnmächtige Auf-der-Stelle-Treten im Angesicht einer globalen Katastrophe, die sich immer deutlicher ankündigt, eine Simulation, stimuliert durch die Trugbilder des eigenen Dahinschwebens, befreit von den Unwägbarkeiten einer allzu vorhersehbaren Realität. Hier geht es weder vorwärts noch rückwärts; der Mensch auf dem Laufband versucht die Schuld des Lebens zu sühnen oder den Moment des Todes hinauszuschieben – zwei fixe Ideen, die ihn quälen An seinen Posten gebannt überwacht er die eigene Leistung, angetrieben von Dopamin; wenn es um das Hochgefühl geht, das das Cardio-Training ihm beschert, ist er zugleich Dealer und Süchtiger. Er müht sich ab und ist dabei sein eigener Chef, er betätigt sich als time keeper der eigenen Ausdauer und ist schlussendlich ein Proletarier, der nichts zu verlieren hat als seine überschüssigen Pfunde. Neben den anderen Gestalten, die alle auf derselben Startlinie feststecken, arbeitet er daran, die Arbeitskraft wiederherzustellen, die daran arbeitet, die Arbeitskraft wiederherzustellen, die daran arbeitet … … und immer so fort gemäß einem bekannten kapitalistischen Teufelskreis.

Dienstag, 2. September 2025

Gehorsame Deutsche?

Gehorsam, das sei ein Reizwort, behauptet die Verlagsankündigung, zumal in Deutschland. Die Lektüre von „Die Deutschen und der Gehorsam“ von Martin Wagner legt eher nah, dass der Begriff so überholt und lebensfremd wirkt, dass er nicht einmal mehr aufregt.
Martin Wagner konstatiert ein Missverhältnis zwischen dem Verschwinden des Gehorsams als
expliziter Kategorie des öffentlichen Diskurses und dem hartnäckigen Nachleben seiner alltäglichen Erfahrung. Vom Straßenverkehr über die Schule bis zum Steuerwesen und der Realität des Arbeitsplatzes werden wir regelmäßig mit Situationen konfrontiert, in denen uns Gehorsam abverlangt wird – wobei die Verwendung des Wortes hier doch heute in der Regel seltsam verstörend wirken würde.
Gehorchen? Ich?!? Das Wort klingt archaisch, wenn alle tun, was sie sollen, dies aber aus tiefster Überzeugung. Reale Unterordnung, kritisiert der Autor zu Recht, werde in allen gesellschaftlichen Bereichen tabuisiert, eskamotiert oder beschönigt. Das ist ein wichtiger Hinweis angesichts des Erfolgs einer rechtspopulistischen Politik, die libertären Pathos mit autoritärer Ausgrenzung verbindet.
Ich habe das Buch für die Sendung Andruck beim Deutschlandfunk besprochen.

Montag, 1. September 2025

Hat die Sendung den Intellekt beleidigt? Wer beim Genetiv so weit daneben greift, sollte mit Stilkritik trotzdem vorsichtig sein.