Freitag, 30. Januar 2009

Streiken gegen die Krise - und die Ausländer?


Vor drei Tagen legten Hunderte Bauarbeiter in der Lindsey-Ölraffinerie (Total) in Lincolnshire die Arbeit nieder. Ihr Widerstand richtete sich dagegen, dass Total einen Bauauftrag an die italienische Firma IREM vergeben hat, und diese Firma ausschließlich Italiener und Portugiesen beschäftigen will. 100 nicht-britische Bauarbeiter sind bereits vor Ort, weitere 300 sollen noch kommmen.



Seitdem dem Streik in Northlincolnshire schwillt im Land eine Streikwelle an, die auch fremdenfeindliche Züge trägt. Bisher gab es Aktionen in anderen Ölraffinerien und Kraftwerken, angeblich auch in Stahlwerken, außerdem Solidaritätskundgebungen von Bauarbeitern (eine Aufzählung der BBC). Auf selbstgemachte Plakaten fordern sie "Britische Jobs für britische Arbeiter!" – wobei sie sich auf eine populistische Auslassung des Premierministers Gordon Browns auf dem Labour-Parteitag 2007 beziehen, er werde auch in einer "globalisierten Welt" alles tun, damit die eingeborenen Arbeitenden Stellen bekommen.

Allein aus diesem Grund setzt die Streikwelle die Regierung unter Rechtfertigungsdruck. Besonders ungeschickt die Dramaturgie: Heute hält Brown eine Rede vor dem Weltwirtschaftsforum, in der er vor einem neuen Protektionismus warnt.

Für die faschistische British National Party ist die Bewegung eine Art Geschenk. Sie versucht, sich in den Vordergrund zu spielen. Ein BNP-Sprecher sagte, heute sei "ein großartiger Tag für den britischen Nationalismus!" (Ein lustiges Zitat aus einer ihrer Internetdiskussionen nebenbei: "Sind die wirklich aus Italien? Ich habe was im Fernsehen gesehen und die sahen aus, als kämen sie aus dem Nahen Osten!")



Wie die Streikenden auf die Nazi-Agitation reagieren, ist schwer zu sagen. Ebenso schwer zu beurteilen, wie wichtig das fremdenfeindliche Element wirklich ist. Das geht übrigens auch britischen Linken so (Debatte auf Libcom). Während einige Arbeiter tatsächlich Union Jack – Fahnen schwenken, betonen andere, sie hätten gar nichts gegen ausländischen Arbeiter. Eine Diskussion in einem Forum streikender Bauarbeiter gibt die widersprüchliche Haltung gut wieder. Da schreibt einer:
We did not take this to a racial level, you did, now get ready to reap what you sow. I have worked in your country and respected your culture and industrial rules, just remember you drew first blood not us. Go home now, you have now outstayed the welcome we gave you by not involving you in our plight.

Und ein anderer Arbeiter antwortet
We want to be careful with the nationalism, lads, so that things don't turn nasty. I've got nothin against the Italian workers as such, they're just doing a job, putting food on the table for their families. They're not W*** (Without Papers- as they are EU citizens and are legally allowed to work here)- besides this is racist. Many of us have worked abroad - Germany, Spain, Middle East - did we think or care about jobs in those countries? Getting at the workers is just going to give us a bad reputation, and turn the public against us.
The problem is with the tenders, Total management and probably the govt. for allowing foreign companies to undercut. The govt. shouldn't allow this to happen. They haven't thought about the social price to the area, only the price of the contract.
These jobs should go to British workers, cos we can do the work and we need it. Just leave the racism and aggro at home- it doesn't do anyone any favours.

(In Staythorpe in Nottinghamshire hat Alstom den Auftrag für Bauarbeiten an einem Kraftwerk bekommen. Alstom wiederum hat spanische Baufirmen beauftragt, die zum Teil spanische Arbeiter in England einsetzen wollen.)

Die Aktionen sind spontan, werden allerdings von der Gewerkschaft UNISON und dem Dachverband GBM "wohlwollend begleitet". Die Gewerkschaften kündigen eine nationale Demonstration in der Hauptstadt an und machen ansonsten Werbung für einen „runden Tisch“ – sprich, sie wollen mit der Regierung verhandeln. Bei ihren öffentlichen Auftritten betonen die Gewerkschaftsvertreter, sie hätten nichts gegen die ausländischen Kollegen. Aber auch sie haben in den jüngsten Arbeitskämpfen national-chauvinistisch argumentiert. Zum Beispiel Unison:
We are seeing thousands of jobs being lost daily but at Staythorpe there is skilled, well-paid work available. It's a disgrace that local workers with years of experience are being locked out of the job. Alstom have the power to insist that the sub-contractors end this scandalous situation. UK workers must be given a fair chance to get a cut of the action to build a new generation of UK power stations. They are not asking for special favours they are demanding fair play.


Donnerstag, 29. Januar 2009

"Verschleierter Steuerung der Hochschulpolitik"

Das Evaluations-Bashing geht weiter - zumindest in den Feuilletons. Die neue Folge steht in der Süddeutschen von heute und beschäftigt sich besonders mit der sogenannten Bibliometrie. Der Beitrag enthält nichts wirklich neues zur Kritik des Verfahrens, bringt aber ein lustiges Beispiel für die bibliometrische Methode:

Außerdem bedeutet Zitation natürlich nicht Zitation. In den Naturwissenschaften mag es sinnvoll sein, wird dort doch aufbauend zitiert, das heißt, man übernimmt in einer Arbeit die Ergebnisse von XY und stellt sich darauf wie auf die Sprossen einer Leiter, um weiterzuklettern. In den Geisteswissenschaften aber wird oft polemisch oder in Abgrenzung zitiert, schließlich ist "Fortschritt" hier meist nur durch Widerlegung möglich.

Was also ist dann mit Aufsätzen, die nur zitiert werden, weil man dem Autor Fehler nachweist? (Matthias) Winterhager behauptet, solche negative Zitate seien zu vernachlässigen, so etwas gebe es zwar, es sei aber irrelevant. Auch das sieht (Martin) Hose anders: "Detlev Fehling ist bei den Altgriechen vielleicht der Zitationschamp." Fehling stellte in den siebziger Jahren die These auf, dass Herodot alle historischen Daten frei erfunden habe. Jede Arbeit, die seither zu Herodot erschienen sei, polemisiere gegen Fehling, was ihm jedes Mal neue Zitate einbringt.

Dienstag, 27. Januar 2009



Donnerstag, 22. Januar 2009

"Berge versetzen, Massen bewegen"


Meine Besprechung von "Maoismus: Ideengeschichte und revolutionärer Geist" ist beim FREITAG erschienen. In ihr geht es unter anderem um Voluntarismus, unproduktive west-östliche Mißverständnisse und um Foucault und die Kulturrevolution.

Mittwoch, 21. Januar 2009

"Killerspiele sind Landminen für die Seele ..."


Erinnert sich jemand an Maria Mies? Die deutsche Soziologin und feministische Marxistin? "Patriachat und Kapital"? Heute inititiert sie einen friedensbewegten "Aufruf gegen Computergewalt". Gemeint sind damit Spiele, die von Gewaltdarstellungen geprägt sind.
5-, 15- und 25jährige sitzen heute Stunden, Tage und Nächte vor Computern und Spielekonsolen. In „Spielen“ wie „Counter-Strike“, „Doom 3“, „Call of Duty“, „Halo 3“, “Crysis”, “Grand Theft Auto IV“ u.a. üben sie systematisches und exzessives Töten mit Waffen vom Maschinengewehr bis zur Kettensäge. Sie demütigen, foltern, verstümmeln, zerstückeln, erschießen und zersägen Menschen an ihren Bildschirmen. Längst ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass Mediengewalt und vor allem Killerspiele verheerende Wirkungen insbesondere auf Kinder und Jugendliche haben.
Ist es? Meines Wissens nach ist das unter Pädagogen durchaus umstritten! Mir persönlich scheint der Ansatz am plausibelsten, den Gebrauch von Gewaltspielen aus der Lebenssituation der (jugendlichen) Spieler zu erklären. Demnach kann ein Spiel wie Doom etwas verschärfen, es kann abstumpfen und banalisieren, aber es erzeugt keine Mörder. Auch wenn es sicher nicht wünschenswert ist, dass Kinder "Stunden, Tage und Nächte" vorm Bildschirm verbringen, Computerspiele sind nicht die Ursache - um das zu verstehen, muss man eigentlich keine Marxistin sein.

Gefordert wird in dem Aufruf übrigens auch
dass die Herstellung und Verbreitung von kriegsverherrlichenden und gewaltfördernden Computerspielen für Kinder und Erwachsene verboten werden - denn Krieg ist nicht nur schlecht für Kinder, sondern auch für Erwachsene

Montag, 19. Januar 2009

"Wir kommen näher"




Der Autoritarismus in England hat ein Ausmaß erreicht, das sogar unbedarften Touristen auffällt. Wie auch nicht - überall wird ermahnt und verwarnt und gedroht. Das reicht von der paternalistischen Aufforderung am Bahnhof, nicht zu rennen, "weil das gefährlich ist", über die Hinweisschilder, daß Kameras das Verhalten der Fahrgäste aufzeichen und das "bei einem Gerichtsverfahren als Beweismittel verwendet werden kann". Mehr Sport treiben, keine Kaugummis auf den Boden fallen lassen, und so weiter, unaufhörlich, in den öffentlichen Verkehrmitteln, in der Kneipe, auf dem Amt.



Erschöpft gehe ich nach Hause und will fernsehen.



Die Kampagne des Arbeitsministeriums gegen den sogenannten Sozialbetrug schlägt alles, was ich bisher erlebt habe. Natürlich hängen die entsprechenden Plakate nicht in der Londoner City. Aber nur drei, vier Haltestellen mit der U-Bahn weiter, in den Vierteln der Armen und Einwanderer hängt die Drohung an jeder Bushaltestelle: "Wir komen näher!"




Dienstag, 6. Januar 2009


Montag, 5. Januar 2009

Arm, krank, dumm

Das kommt oft gemeinsam, denkt sich die britische Regierung. Kürzlich entwickelte Liam Byrne, der Chef des Cabinet Office der Regierung, Ideen für Mega-Sozial-Zentren:

Es könnte im gleichen Gebäude nicht nur Erziehung für die Kinder und Jugendlichen geben, sondern auch Fortbildungskurse für Erwachsene, weil viele Eltern arbeitslos sind und sie neue Fähigkeiten brauchen, um wieder in Beschäftigung zu kommen. Es könnte auch eine andere Art von Gesundheitsvorsorge nötig werden, die ebenfalls in den Schulen untergebracht wird, und die sich mehr um die psychische Gesundheit von Kindern und Erwachsenen kümmert.

Ich habe darüber in anderem Zusammenhang berichtet. Auf der gleichen Linie liegt der Bericht vom Telegraph, nach dem die englischen Schulen aufgefordert wurden, medizinische Betreuungsstellen einzurichtendie sich um die sexuele Gesundheit der Schüler kümmern sollen - sprich Geschlechtskrankheiten behandeln oder die "Pille danach" verabreichen.
Seit 2000 macht sich die Regierung für sexual health services für Teenager stark. Das gehört zu ihrer Politik der "erweiterten Schule", die Schulen in Anbieter für Bildung, Gesundheit und Sozialarbeit verwandeln soll.

Sonntag, 4. Januar 2009

"Die Farbe des Bieres ist pilsgelb."

Es ist nicht alles traurig in Deutschland. Dieses Wochenende hatte ich das Vergnügen, das Hamburger Café Hensel zu besuchen, und das hat die lustiges Getränkekarte des Landes, wenn nicht der Welt!
Was dieses Bier auszeichnet ist vor allem sein "Charakter", nicht umsonst heisst es "Vollbier". Ein frisches, weit entwickeltes Spitzenbier. Man schmeckt die Tradition. Die flüssige Form einer ernstgemeinten Lebensphilosophie. Eine Liebeserklärung an das Bier. Dieses Bier (!) muß man getrunken haben.
Wen interessieren Rechtschreibung oder Grammatik, wenn es um "Bier (!)" geht? Mich bestimmt nicht. Das schönste daran, das alles ist so ernst gemeint wie eine Lebensphilosphie.
Schon der erste Schluck ist eine Offenbahrung für den Gaumen. Man hat beim trinken das Gefühl, das Feld zu sehen auf dem das Getreide wuchs. Man sieht die Ähren im Wind schaukeln und den blauen Himmel darüber. Die Farbe des Bieres ist pilsgelb. Der Geschmack ist überraschend ausgewogen, würzig und weich mit einem Citrusanklang. Hier spielen ein selbstbewußter Hopfen und erfahrenes Malz gut zusammen. Pilstypisch und klassisch herb. Das Malz ist kernig, handfest und umgänglich.

Samstag, 3. Januar 2009

"Cultural Poverty Studies"

Bei TELEPOLIS ist ein neuer Artikel von mir über die nächste Runde der britischen Sozialreform erschienen.
Was tun gegen Arbeitslosigkeit und Armut? Die britische Regierung hat die "Apathie der arbeitenden Klasse" als Problem ausgemacht.Besonders anfällig für Antriebslosigkeit und mangelnden Ehrgeiz seien junge weiße Männer in den (ehemaligen) Industriestädten im Norden des Landes. Deshalb sei "eine umfassende kulturelle Strategie" nötig ...