Donnerstag, 24. November 2011

Bezahlte Informanten und Provokateure


Ein neuer Artikel von mir bei Telepolis beschäftigt sich mit dem Einsatz von agents provocateurs in den USA.
Wie kontrolliert man eine Sicherheitsbehörde, die einerseits nachrichtendienstlich – also im Geheimen – arbeitet, und die andererseits ein vitales Interesse an Unsicherheit hat? Oder, um es mit den Versen Heiner Müllers über die ostdeutsche Staatssicherheit zu sagen: "Ein Königreich für einen Staatsfeind. Wer / Wenn alles hier in Ordnung ist braucht uns?" Und was ist überhaupt mit den eingekauften Informationen anzufangen, wenn deren Lieferanten ganz eigene Interessen verfolgen?
Ich versuche in meinem Text auch, einen Bogen vom FBI-Staatsschutz zur deutschen Affäre um den "Nationalsozialistischen Untergrund" zu schlagen. Ich könnte mich darüber aufregen (wenn ich die Zeit dazu hätte), wie banal die mediale Aufbereitung dieser Mordserie geworden ist. Die eigentliche Frage "Wie kann sich eine terroristische Organisation wie NSU jahrelang in einem Umfeld bewegen, das derart von Spitzeln durchgesetzt ist wie die 'extreme Rechte', ohne aufzufliegen?" spielt ja kaum noch eine Rolle.

Um diese Frage zu beantworten, wäre es hilfreich, drei "Interessensstränge" analytisch auseinanderzuhalten, die sich praktisch überlappen: die der Individuen, die der Behörden und die des Staates. Da wäre also zunächst die Ebene von eventuellen persönlichen politischen Sympathien der VS-Mitarbeiter für die Nazis. Der ein oder andere mag solche Sympathien haben – aber soll das wirklich zur Erklärung ausreichen? Würde ein solcher Beamte seine Karriere und seinen Job aufs Spiel setzten, um eine Schmuddeltruppe wie den NSU gegen den Willen seiner Vorgesetzten zu unterstützen? Dann gibt es die organisatorische Ebene: das unvermeidliche Interesse einer Sicherheitsbehörde an Unsicherheit. Dieses Interesse von VS, MAD, BKA und BND lässt sich unglücklicherweise schlecht kontrollieren, weil sie als Nachrichtendienste diejenigen sind, die Bedrohungen überhaupt einschätzen sollen. Ob es eine "Terrorgefahr" gibt, lässt sich eben für Otto (Medien-) Normalverbraucher kaum beurteilen. Schließlich existiert ein Interesse des Staates, sich in der Mitte zwischen den politischen Extremen zu positionieren und seine Politik als vernünftigen Ausgleich darzustellen. Ein schockierendes Beispiel war die perfide "Asyldebatte" in den frühen 1990er Jahren, als mordende und brandstiftende Nazis als Argument dienten, die deutsche Einwanderungspolitik neu auszurichten.

Individuelle Sympathie, Organisationsegoismen und das übergeordnete politische Interesse des Staates können sich ergänzen, mehr noch: Um wirksam zu werden, müssen sie auf allen drei Ebenen wenigstens vorhanden sein. Eine Behörde kann sich langfristig kaum einem übergeordneten Regierungsinteresse widersetzen, ein Beamter kaum dem seiner Organisation, und umgekehrt: Eine Organisation muss ihre Mitglieder "mitnehmen", ein Staat seine Behörden mobilisieren. Um die Vorgänge um die NSU "aufzuklären", sollten wir alle diese Aspekte im Auge behalten und das Problem nicht auf den "kleinen Adolf" reduzieren.