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Alder: Der Lügendetektor ist eine Maschine der Einschüchterung. Die Methode funktioniert umso besser, je mehr der Befrager an die Wirksamkeit des Apparats glaubt oder wenigstens den Befragten überzeugen kann, dass die Maschine tatsächlich herausfinden kann, ob er lügt. In meinem Buch beschreibe ich, wie der Erfinder Leonarde Keeler den Glauben an die Effektivität des Detektors kultivierte. Keeler nutzte dazu zum Beispiel einen Kartentrick: Die Verdächtigen mussten abstreiten, dass sie eine bestimmte Karte gezogen haben, wenn er die richtige Karte aufdeckte - angeblich mit Hilfe des Lügendetektors, in Wirklichkeit, weil er die Karte markiert hatte.Interessant ist die Thematik "Lügendetektion", weil ja gerade in modernisierter Form ähnliche Systeme entwickelt werden, beispielsweise in den USA die Future Attribute Screening Technology. Und auch in Europa nutzt Überwacshungstechnik zunehmend körperliche Signale, um "verdächtiges Verhalten" zu entdecken.
Die junge Welt gibt keine Informationen an Behörden weiter. Nachfragen seitens der Polizei oder anderer Stellen müssen an die Chefredaktion oder die Geschäftsführung weitergeleitet werden. Mitarbeitern, die gegen diese eklatanten Grundsätze journalistischer Arbeit verstoßen, wird fristlos gekündigt.
Eben diese Grundsätze wurden beachtet. Das versicherte am Donnerstag der Kollege, der seit mehr als einem Jahr nicht mehr bei junge Welt arbeitet, auf unsere Nachfrage. Im übrigen verweisen wir darauf: Nach dem Publikmachen der E-Mail durch das Projekt »Brunnen 183« im Internet und dem jW-Bericht am 3. Dezember 2009 hatte das Berliner Landeskriminalamt die Redaktion über Monate mit Anfragen belästigt und bedrängt, das fragliche Schreiben herauszurücken, was in jedem einzelnen Fall mit Verweis auf die genannten journalistischen Grundsätze abgelehnt wurde.
Ausschreitungen sollten provoziert werden, um der vorangegangenen Medienhetze ein Grundlage nachzuliefern. Vor diesem Hintergrund erscheinen die Warnanrufe vor der tatsächlichen Räumung und die an das Hausprojekt gerichteten Emails von einem angeblich wohlmeinenden Polizisten in einem anderen Licht. Wir sind davon überzeugt, dass eine gewalttätige Verteidigung des Hauses forciert werden sollte, um den zahlreich eingeladenen Pressevertretern ein gefährliches Terrornest präsentieren zu können. Zitat aus einer Email an die Brunnen183, von Mo. den 23.11.2009: „Ich bin zwar Polizist, solidarisiere mich aber mit der Linken Szene. Bitte vertraut mir und bereitet euch auf die Räumung vor, es sind 4 Hundertschaften für die Räumung vorgesehen, sowie ein SEK–Team."
Ein Polizist soll Hausbesetzer der Brunnenstraße vor der Räumung gewarnt haben. Nun steht er vor Gericht. (...) Die elektronische Nachricht nahm einen kuriosen Weg. Sie gelangte nicht nur in die Hände der Hausbesetzer, sondern auch in den Rechner eines Journalisten bei der Zeitung Junge Welt. Dieser leitete die E-Mail an die Pressestelle der Polizei weiter, um zu ergründen, was es damit wohl auf sich habe. Seine Quelle schützte er nicht.
Schweiger: "Was ich so schlimm finde ist, dass wir in Deutschland, wenn es so eine Sendung gibt wie ‚Tatort Internet‘ reden alle nur darüber, wie böse das ist, dass man potenzielle Täter gepixelt im Fernsehen zeigt. Aber die Diskussion, was man dagegen macht, die höre ich nicht mehr. Ich höre immer nur: (...) Sicherheitsverwahrung ist unmenschlich. Das höre ich die ganze Zeit. Ich höre nie, was aus den Opfern wird. (...) Das ist dieses deutsche Gutmenschentum, das mich so ankotzt! (...) Deutschland ist eine Tätergesellschaft! Und es geht auch im ‚Tatort‘ (ARD, Anm. der Red.) immer nur um den Täter, keiner geht in die Geschichte mit dem vergewaltigten Opfer und guckt, was das auslöst. Okay, jetzt hat der Mörder Sicherheitsverwahrung bekommen. Ausnahme! Andere werden aus der Sicherheitsverwahrung rausgelassen."
Das Gesetz sieht vor, dass die Gefangenen nicht entlassen werden, sofern sie wegen einer psychischen Störung hochgefährlich sind. Für viele Juristen und Psychiater ist das ein Unding: Denn ob eine psychische Krankheit die Ursache einer Gewalt- oder Sexualstraftat war, wird ohnehin im Gerichtsverfahren geprüft. Ist der Verbrecher krank, kommt er statt in den Knast in den Maßregelvollzug, bis das Risiko seiner Entlassung vertretbar ist. Bei den Sicherungsverwahrten war das offensichtlich nicht der Fall.
Aber, argumentiert der Gesetzgeber, die hochgefährlichen Insassen seien zwar zurechnungsfähig, aber trotzdem "gestört". Für die Sicherungsunterbringung reicht eine Persönlichkeitsstörung mit "abnorm aggressivem und ernsthaft unverantwortlichem Verhalten". Das Bundesverfassungsgericht urteilte vor kurzem, eine solche Störung im Sinne des ThUG müsse keine psychiatrische Krankheit oder Unzurechnungsfähigkeit sein. Eine "dissoziale Persönlichkeitsstörung", eine Störung der Impuls- oder Triebkontrolle oder eine gefährliche Sexualpräferenz wie Pädophilie oder Sadismus genügen. Diese Definition umfasst sehr, sehr viele Menschen - innerhalb der Gefängnisse und draußen.