John Forbes Nash oder Peter Sloterdijk
- wem würden Sie Ihre Weltmacht anvertrauen?
Frank Schirrmacher lancierte sein neues Buch "Ego" zunächst im Spiegel, der naturgemäß freundlich mit ihm und seinem Werk umging (inklusive einer Besprechungsfeier von Jakob Augstein). Wohlwollend war auch die Süddeutsche, völlig ahnungslos der Freitag. Paranoia, meint dagegen Die Welt, ein Mach-Werk, Schund und nicht ernst zu nehmen.
Ich habe "Ego" jetzt auch gelesen: Ja, doch. Stimmt schon.
Und das sage ich, der ich die Spieltheorie interessant und den "ökonomischen Imperialismus" verachtenswert finde ...
Den Plot von "Ego" nachzuerzählen, ist gar nicht einfach. In ziemlich unsystematischer Weise umkreist Schirrmacher die Entstehung dessen, was er "Informationskapitalismus" nennt. Damit ist ein entgrenzter, finanzmarktgetriebener und vor allem computergestützer Kapitalismus gemeint. Die Durchsetzung dieses Systemes wiederum entspricht laut Schirrmacher der theoretisch-akademischen Entgrenzung des berühmt-berüchtigten homo oeconomicus, besonders der sich entwickelnden Hegemonie der Spieltheorie und der Rational Choice-Theorien und die Übernahme ihrer Methoden durch die anderen Sozialwissenschaften (also das, was jetzt oft und mißverständlich "ökonomischer Imperialismus" genannt wird).
Die wissenschaftliche Rechtfertigung eines rücksichtslosen Egoismus sei aber nicht das eigentliche Problem, sondern dass durch digitale und teilweise automatisierte Bewertungen des Verhaltens der "ökonomisch Handelnden" ein Doppelgänger unserer selbst entsteht.Diesen alter ego nennt der Autor "Nummer Zwei". Er übernimmt unser Leben, das Modell wird Wirklichkeit.
Ein Weltbild, das hinter allem menschlichen Tun die unausweichliche Logik des Eigennutzes am Werk sieht, produziert Egoismus wie am Fließband.Wie das möglich sein soll, wäre eine spannende Frage gewesen, die leider in Schirrmachers pathetischem Wortgetöse nicht auftaucht. Denn in den vergangenen neoliberalen Jahrzehnten wurden ja ganz konkret Anreize gesetzt, die asoziales Verhalten fördern und solidarisches untergraben: durch die tendentielle Zerstörung der Transfer- und Rentensysteme beispielsweise, die Privatisierung von Risiken wie Krankheit, durch knappen bezahlbaren Wohnraum, sinkende Löhne ... Aber diese profane Seite der Geschichte, wie die Eigennutzmaximierung scheinbar zur einzig "rationalen Haltung" wurde, interessiert den Autor nicht. Die "Selbsterfüllung der Prophezeiung", alle seien immer Eigennutzenmaximerer, bleibt deshalb rätselhaft.
Diese oft genialen Wissenschaftler (der RAND-Cooperation, MB) wurden nicht nur Experten für die Automatisierung des Militärs, sondern auch für die Automatisierung von Märkten und die Automatisierung von Menschen in diesen Märkten.Wie schon in seinem letzten Buch "Payback" ist für Schirrmacher die Automatisierung von Entscheidungsprozessen und das Einsortieren der Käufer in Zielgruppen der eigentliche Skandal. Und wieder überschätzt er die Leistungsfähigkeit der Theorien und Technik, die er kritisiert, maßlos. Polemisch gesagt, sein "Monster Informationskapitalismus" ist nur eine Aufblaspuppe, die mächtig Angst machen soll, aber mit den tatsächlichen und teilweise durchaus kritikwürdigen Phänomenen, die Schirrmacher erwähnt, fast nichts zu tun hat.
Schirrmacher steht in einer (soweit ich das beurteilen kann: spezifisch deutschen) romantischen Tradition, die das Messen, Berechnen und Bewerten zum Kern der Kapitalismus erklärt - nach Werner Sombart: Ohne Buchführung kein Kapital. Nun ist der Fortschritt der "organisatorischen Seite" von Unternehmen und Staat tatsächlich untrennbar mit der kapitalistischen Entwicklung insgesamt verwoben - aber eben nur die Oberfläche, unter der die wesentlichen sozialen Veränderungen und Auseinandersetzungen liegen. Schirrmacher betreibt Technikkritik: Soziales taucht nie anders denn als Resultat technischer Manipulation auf. Das Wunderbare an dieser Art von Kritik: niemand muss sich angesprochen fühlen, der nicht gerade ein Investmentbanker ist.
Schirrmachers fragwürdige historische Analyse betont, dass sowohl die Spieltheorie als auch der Großteil der neuen Informationstechnik aus den USA kamen. Die Spieltheorie und deren charakteristisches tiefschwarzes Menschenbild sei aus dem Kalten Krieg geboren. Nach dem amerikanischen Sieg habe man die spieltheoretischen Kalküle dann auf die Börse übertragen. "Ego" hat eine unübersehbar antiamerikanische Note. Kapital setzt Schirrmacher gleich mit Spekulation, und diese wiederum mit den USA, den "Wallstreet-Täter" (Jakob Augstein), während in Deutschland angeblich "die Bedeutung der Realwirtschaft" (Schirrmacher) einen Rest Vernunft erzwingt! Kein Wunder also, dass Rezensent Augstein Schirrmacher mit den kryptischen Worten lobt, ihn empöre, "dass in Amerika der Code unserer Zukunft geschrieben wird und wir davon nichts wissen".
Abgesehen davon, dass es falsch ist, die Spieltheorie zu einem amerikanischen Sonderweg zu erklären, hat deren Erfolg in den USA einen ganz einfachen Grund: Dass nämlich eine kühl kalkulierende Theorie für eine Weltmacht nützlicher ist als idealistisches Geraune. Mal im Ernst: Wenn Sie eine Weltmacht zu verwalten hätten, würden Sie lieber einen John von Neumann oder John Nash um Rat fragen (die ihnen notfalls auch eine Bombe bauen oder das Auto reparieren können), oder einen Peter Sloterdijk, der Blasen wirft?
Dachte ich mir doch.
Besonders ärgerlich, dass Schirrmacher an keiner Stelle erklärt, was Spieltheorie eigentlich ist und wie sie mit dem "ökonomischen Imperialismus" zusammenhängt - denn das sie es tut, glaube ich auch! Dieses Buch, das Schirrmacher hätte schreiben können, hätte untersucht, wie der Erfolg der Spieltheorie mit der Banalisierung der Wirtschaftswissenschaften zusammenhing und welche (akademischen und politischen) Ursachen dieser Erfolg hatte. Aber dieses Buch hätte wohl kein Aufblasmonster enthalten.