Montag, 4. August 2014

Harun Farocki 1944 - 2014

Die Neue Linke in Westdeutschland und Westberlin hat letztlich wenig Bleibendes hervorgebracht. Harun Farocki zählte sicher zu den Ausnahmen, ein ganz eigenständiger Künstler, für mich der wichtigste deutsche Filmemacher, dessen materialästhetisches Bewusstsein immer im Dienst der Erkenntnis - man mag sie politische Erkenntnis nennen - stand, niemals Selbstzweck war. Am 30. Juli ist er gestorben.



Wollte Farocki 1978 mit seinem opus magnum »Zwischen zwei Kriegen« noch »die Widersprüche zu einer Einheit zusammenfassen« und die gesellschaftliche Totalität zur Darstellung bringen, wendet er sich danach immer stärker der »Mikropolitik« zu, den Repräsentationen und Inszenierungen. Er wandert, wie viele Linke, in den achtziger Jahren von Marx zu Foucault.
»Zwischen zwei Kriegen«, ein Klassiker des politischen Films, handelt von der Entstehung des Verbundsystems. Um die Produktion zu steigern, um alle Energien und Zwischenprodukte zu nutzen, verschmelzen einzelne Industriebetriebe zu Trusts. Ihre spezifische Organisation verwehrt ihnen fortan, auf Absatzschwankungen auf die gewohnte Art zu reagieren und die Produktion herunterzufahren: Es lohnt nicht mehr, nicht zu produzieren. Der Verbund verschärft die Überproduktion (wie sich übrigens heute wieder in der Chemieindustrie beobachten läßt). Der Ausweg ist der Krieg, die Herstellung von Waren, die sich selbst und andere Waren vernichten, die also den Markt bereinigen. »Es muß einen Zusammenhang geben zwischen Produktion und Zerstörung«, sagt Farocki in einem seiner späteren Filme – hier ist einer.
Um solche vielschichtigen Zusammenhänge sichtbar zu machen, greift Farocki in »Zwischen zwei Kriegen« zu einer allegorischen Darstellung, entwickelt komplexe »Denkbilder«. Er selbst taucht im Film als fragender, konstruierender Autor auf. Später wird er sich immer weiter zurückziehen und dem (Bild-)Material das Feld überlassen. Statt Experimente zu konstruieren, analysiert er nun Bilder, die andere hergestellt haben. Ab den achtziger Jahren beschäftigen sich seine Dokumentationen mit Werbe- und Aktfotographie, mit computergenerierten Bildern beim Militär und in der Fabrik, mit Videoüberwachung.
Sich der Welt nicht unter dem Aspekt ihrer Darstellung zu nähern, gilt in vielen akademischen und Künstlerkreisen bekanntlich als unfein, als geradezu unanständig. Statt über den Krieg spricht man über seine Bilder, und in der Deppenversion dieser Haltung soll beides sogar dasselbe sein. Farockis Arbeiten wie »Stilleben« (1997) oder »Gefängnisbilder« (2000) unterscheiden sich vom bloßen Formalismus, weil der Regisseur sich immer noch für die gesellschaftliche Wirklichkeit interessiert.
Das bewahrt seine Filmessays über die diversen »Bildlogiken« vor der Belanglosigkeit. Trotzdem sind sie wohl der schwächste Teil seines Œuvres. Am besten ist Farocki heute als Dokumentarist. Er und seine Mitarbeiter hätten gelernt, möglichst unauffällig herumzustehen, sagte Farocki einmal. Vielleicht erklärt das, wie er es fertigbringt, so dichte Aufnahmen zu machen: Finanziers verhandeln mit Unternehmern, Werbefotographen richten ihre Objekte zu, Fernsehleute inszenieren eine Gameshow, Innenarchitekten versuchen, ihre Kunden von ihrem Entwurf zu überzeugen – die Kamera läuft mit und hält ihre Selbstdarstellungen fest. Farocki lichtet ohne Kommentar oder Erläuterung das alltägliche Infame ab, nicht denunziatorisch, aber auch ohne Gnade oder Rücksichtnahme. Oft ist zu lesen, Farockis Kennzeichen als Regisseur sei seine nüchterne, distanzierte Haltung. Mag sein, aber sie entsteht aus einem leidenschaftlichen Interesse an der Wirklichkeit.
Aus meiner Rezension einer Farocki-Filmsammlung in der Konkret August, 2009