Der CDU-Gesundheitspolitiker Michael Hennrich sagt unserer Zeitung, dass er „ganz froh darüber war, dass die parlamentarischen Anläufe in der Vergangenheit immer gescheitert sind“. Sein Argument: „Hier werden Gelder der Versicherten eingesetzt, die an anderer Stelle in der Versorgung fehlen“. Es sei „ein falsches Signal, wenn es Sportkurse künftig auf Rezept geben soll, uns aber dann etwa Mittel fehlen, um Familien zu entlasten, deren Kinder an Neurodermitis erkrankt sind“.berichtete heute morgen die Stuttgarter Zeitung.
Skeptisch ist auch die gesundheitliche Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Hilde Mattheis. Sie mahnt, „dass hier nicht nach dem Gießkannen-Prinzip Mittel für das fünfte Faltblatt zum Thema ,Beweg dich mal’ ausgegeben werden dürfen“. Außerdem seidie Förderung von der Gesundheit zuträglichen Bedingungen in Schule, Arbeitsplatz und Wohngegend „eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“, sollte also aus dem Steuertopf finanziert werden. Das gelte aber in ganze besonderen Maße für die Mittel, die die Bundeszentrale aus Versichertenbeiträgen erhalte. Mattheis kann sich ganz gut vorstellen, „dass das eines der Gesetze wird, die wir in der großen Koalition nicht gemeinsam hinkriegen.“
Der Artikel enthält übrigens ein, zwei missverständliche Formulierungen.
Die Ärzteschaft hat um Beispiel kein Problem mit der sogenannten Früherkennung, sondern eher damit, dass sie für die geplanten "Vorbeugungsrezepte" nicht gesondert vergütet werden soll ... Dass das "Projekt Präventionsgesetz" wirklich das parlamentarische Verfahren nicht überstehen wird, kann ich mir nicht vorstellen - möglich wäre es, wahrscheinlich nicht.
Für Telepolis habe ich eine kurze Analyse über das Projekt und seine Schwierigkeiten geschrieben. Diese Schwierigkeiten betreffen nicht nur die "Umsetzung" der verschiedenen Maßnahmen, also nicht nur, wie wir Vorbeugung und den gesunden Lebensstil an den Mann oder die Frau bringen. Es geht um grundsätzlicher Schwierigkeiten dieser Form einer Risikofaktoren-Medizin:
Im Zentrum der Gesundheitsförderung stehen dabei Risikofaktoren wie Übergewicht, erhöhte Werte bei Blutdruck, Blutzucker und Blutfetten, die wiederum auf Bewegungsmangel, Fehlernährung und Übergewicht zurückgeführt werden. Das ist ziemlich einseitig; Umwelteinflüsse (Feinstaub, andere Emissionen) oder psychosoziale Belastungen wie Isolation oder berufliche Frustration kommen so gut wie nicht vor. Denn die Prävention problematisiert am liebsten jene schädlichen und fördernden Einflüsse, die angeblich von den Menschen selbst kontrolliert werden könnten - sofern diese sich selbst kontrollieren können, "sich im Griff haben". Kurz, sie ist voluntaristisch, sie erklärt den Willen der Individuen zum wesentlichen Gesundheitsproblem.Die gesundheitliche Vorbeugung funktioniert nach den Prinzipien Vermeidung und Ausgleich.
Gesundheitliche Belastungen und Bewältigungsressourcen sind für das individuelle körperliche Wohlbefinden (vulgo "Gesundheit") verantwortlich. Das praktische Problem dieser Art der Prävention besteht nun darin, dass zusätzliche Bemühungen den "Gesundheitsbewussten" in der Regel wenig nutzen. Sie bewegen und ernähren sich ohnehin besser und gehen zum Arzt (und sind geringeren Belastungen ausgesetzt). An den Menschen, die tatsächlich eindeutig ungesunde Verhaltensweisen an den Tag legen - beispielsweise rauchen -, geht aber die Aufforderung zum "gesunden Leben" in der Regel vorbei (und ändert ohnehin nichts an ihren größeren Belastungen).
"Gesundheitsriskante Lebensstile" sollen durch Anreizsysteme auch wirtschaftlich riskant und kulturell geächtet werden. Werden besondere Belastungen wie beruflicher Disstress doch einmal Thema, dann wird ihre Bewältigung zur individuellen Aufgabe umgedeutet - bei Bedarf eventuell mit professioneller psychologischer oder sozialarbeiterischer Unterstützung. Gegen Krebs empfiehlt die Prävention gesunde Ernährung, gegen Stress im Job Yoga nach Feierabend.Das Ergebnis ist nicht nur ungerecht, sondern auch bevölkerungspolitisch ineffizient (und ich wähle diesen zynischen ökonomischen Begriff mit Bedacht).
Wie so oft in letzter Zeit kann ich mich schwer entscheiden: Will ich wirklich, dass das bevölkerungspolitische Projekt Krankheitsprävention scheitert - auch wenn das mehr Todes- und Krankheitsfälle bedeutet? Oder will ich, dass es Erfolg hat - auch wenn sich so die Spirale der Medikalisierung und Effizienzsteigerung der Arbeitskraft weiterdreht?
Sicher bin ich mir immerhin damit: Diese scheinbar ganz unzeitgemäße Idee einer (zugangsfreien) Gesundheitsförderung als Infrastruktur hat den Vorteil, dass wir uns alle um die Feinsteuerung des Verhaltens weniger Gedanken machen müssen! Und schon dadurch wäre alles ein wenig weniger stressig ...
Aussagekräftig ist das neue Präventionsgesetz vor allem durch seine Lücken - durch das, was in ihm fehlt. Obwohl viel von individueller Kompetenz und Lebenswelten wie Betrieb oder Schule die Rede ist, zielen die Maßnahmen allesamt auf individuelle Verhaltensänderung und noch frühere medizinische Einflussnahme. Zwar sollen Versicherte "mit besonderen beruflichen oder familiären Belastungen … beispielsweise Beschäftigte in Schichtarbeit oder pflegende Angehörige" etwas leichter Zugang zu Kuraufenthalten bekommen - von finanzieller Unterstützung oder einer Einschränkung der masssiv gesundheitsschädlichen Nachtarbeit, die seit zwei Jahrzehnten zunimmt und gesetztlich seit 1992 dereguliert wurde, ist dagegen keine Rede. Kurz, die gesundheitliche Vorbeugung nimmt Gesundheitsschäden widerspruchslos hin, sofern sie nicht in das Schema der "Eigenverantwortung" passen. Wirksame Prävention funktioniert aber am besten als Infrastruktur: Wohngegenden, Bildungseinrichtungen und Arbeitsverhältnisse, die nicht krank machen.