In der
Graswurzelrevolution ist eine sehr ausführliche und sehr wohlwollende Besprechung von
Automatisierung und Ausbeutung erschienen:
"Industrie 4.0 - Keine Panik!" Der Rezensent Torsten Bewernitz moniert lediglich meinen berüchtigen Hang zum Abwägen und Einschränken:
Wenn es an der historischen Untersuchung Matthias Beckers etwas zu kritisieren gibt, dann vielleicht der Aspekt, dass er angesichts der beschriebenen Entwicklungen in ihrem historischen Kontext zu gelassen bleibt. Allein am Ende scheint doch etwas Unruhe auf: "Es ist, als sei die Menschheit in ein zirkuläres Irresein geraten, aus dem sie nicht herauskommt. Rationalisierung ohne Sinn und Verstand." Ansonsten ist "Automatisierung und Ausbeutung" auch aufgrund des journalistischen Stils eines der gelungensten Bücher zum Thema - Becker wechselt zwischen eigenen Erfahrungen, historischen Recherchen und Industriereportagen und vermixt diese Aspekte zu einem großen Ganzen, indem er die verschiedenen beschriebenen Erfahrungen kontextualisiert. (...) Von solchen Dystopien ist Matthias Becker weit entfernt, ebenso wie er aus der Industrie 4.0 weder eine Dystopie noch wie viele ihrer Vertreter*innen eine Utopie macht. Trotz dieser scheinbaren "Neutralität" ist Beckers Einführung keineswegs trocken-deskriptiv.
Übrigens hat der Soziologe Simon Schaupp im
Freitag jüngst
einen interessanten Beitrag veröffentlicht, in dem er, pünktlich zum zweihundertsten Todestag, Karl Marx für das Verständnis der Digitalisierung fruchtbar macht. Technik sei ein Fetisch in dessem Sinn:
Als Aufklärer sah sich Marx der Kritik an Gespenstergeschichten aller Art verpflichtet. Dazu zählte er nicht nur die Religion, sondern vor allem den von ihm so bezeichneten „Warenfetisch“. Der Begriff des Fetisches bezeichnet ursprünglich – in den Naturreligionen – den Glauben an die Beseelung unbeseelter Gegenstände. In den modernen Gesellschaften, so Marx, glauben wir, es läge in der Natur der Dinge, dass von der Karotte bis zum Lamborghini jedes Ding einen Geldwert hat. Ein eigentlich menschengemachtes Verhältnis tritt uns entgegen als eine Art autonomes Subjekt, das wie Frankenstein außer Kontrolle geraten ist.
Das trifft es, finde ich, obwohl ich dem Fetischkritisieren mittlerweile egentlich, nun ja, kritisch gegenüberstehe. Schaupp schreibt weiter:
Den Status eines solchen Subjekts hat heute nicht nur das Warenverhältnis, sondern zunehmend auch die Informationstechnologie. Wir glauben nicht nur, dass unsere Computer „intelligent“ seien, wir glauben, sie seien Revolutionäre ... Mit Marx können wir fragen, woher die Digitalisierung ihren revolutionären Willen hat. Die Antwort lautet dann ebenso wie beim Warenfetisch: vom Menschen, der sie gemacht hat.
Auch das scheint mir nichts Neues zu sein. Der Fetisch, der uns beseelt und autonom vorkommt, ist der
Kapitalfetisch. Das Kapital hat sich die produktiven Möglichkeiten der Menschen scheinbar angeeignet. Die IT ist totes Kapital (in Gestalt der Maschine), aber auch verdingilchtes Wissen (in Gestalt der Software). Selbst letzteres ist nicht unbedingt neu, die ersten programmgesteuerten Maschinen entstanden schon im 18. Jahrhundert. Die Künstliche Intelligenz vertieft die Arbeitsteilung, hebt sie vielleicht an der ein oder anderen Stelle auf ein neues Niveau. Bekanntlich muss ein Beschäftigter heute nicht mehr unbedingt wissen, wie die Computerprogramme funktionieren, die ihn lenken, oder welche Informationen sie dabei zugrunde legen etc. . Das Wissen anderer Menschen, die diese Software abbildet, tritt ihm selbst im Arbeitsprozess als Fähigkeit des Kapitals entgegen.