Schon befremdlich, einer zoomorphen Maschine beim Twerken zu zusehen ...
In der Süddeutschen weist Michael Moorstedt darauf hin, dass die so beliebten Roboter-Vorführungen nicht halten, was sie versprechen. Er erwähnt insbesondere die jüngste Vorführung von "Pepper" im britischen Parlament.
Sämtliche Fragen und Antworten, die im Verlauf der Konversation mit Pepper fielen, waren im Vorhinein abgemacht worden und dem Roboter fest eingeschrieben worden. Der Automat wurde per Smartphone-Kommando gesteuert.Geschichte wiederholt sich. Vor zwei Jahren habe ich in meinem Buch "Automatisierung und Ausbeutung" ausführlich die Faszination der veremeintlich denkenden Maschine untersucht. Sie nahm im 18. Jahrhundert mit Automaten wie dem Schachtürken ihren Anfang. Ich schreibe dazu im Kapitel "Kunstfertige Hochstapler":
Wenn die Automaten in die Öffentlichkeit treten, geschehen merkwürdige Dinge. Ihre Selbsttätigkeit erregt die Phantasie der Menschen so stark, dass es auf Details nicht anzukommen scheint. Die mehr oder weniger eingestandene Hochstapelei in der KI-Forschung und Robotik hat eine lange Geschichte. Wer einmal auf dieses Muster aufmerksam wurde, entdeckt es plötzlich überall, quer durch die Jahrhunderte.Und jetzt, nach ungefähr zwanzigtausend Artikeln über die rasenden Fortschrtte der Künstlichen Intelligenz erste Absatzbewegungen bei einem Leitmedium wie der Süddeutschen. Und was sagt der Artikel noch?... Um die Öffentlichkeit zu beeindrucken und den Eindruck von Leben und Autonomie zu erwecken, setzen die Automatenbauer die neueste Technik und die besten Herstellungsverfahren ein. Vaucanson beispielsweise gehörte zu den ersten, die eine mechanische Ablaufsteuerung benutzen. Kempelen nutzte Magnetismus zur Signalübertragung ins Innere des Schachautomaten. Die Automaten sind täuschend echt, aber eben auch echte Täuschungen. Dieses technikgeschichtliche Muster hat die überraschende Pointe, dass die Hochstapelei die technische Entwicklung voran bringt.
Wenn ich Anfang des 21. Jahrhunderts zurückschaue auf die vermeintlich intelligenten Automaten, von NAO über Eric Robot bis zum Schachtürken, kommt es mir vor, als sei es in diesem besonderen Fall nicht wahr, dass Geschichte sich nicht wiederholt. Die Argumente und die Akteure in der öffentlichen Debatte gleichen sich aufs Haar. Techniker versprechen mehr, als sie halten können, dem einfachen Volk und den Gebildeten bleibt vor Staunen der Mund offen stehen. Zwischen ihnen: Journalisten.
Die Automaten müssen nicht perfekt sein, um diese Wirkung zu haben. Das Publikum ahnt oder weiß sogar, dass die Erfinder Hochstapelei betreiben, aber fühlt sich nicht betrogen, sondern goutiert die Automaten wie einen Science-Fiction-Roman. Als der Schachtürke im Jahr 1784 in London präsentiert wurde, errieten einige Besucher sofort, dass in dem Apparat ein Mensch verborgen sein musste. Auf seiner Tournee durch die Vereinigten Staaten beobachteten in der Stadt Baltimore zwei Jugendliche vor der Vorführung, wie der Spieler in den Apparat hineinkletterte. Eine lokale Zeitung veröffentlichte diese Information. Aber das hinderte den Dichter Edgar Allan Poe nicht daran – der diesen Artikel möglicherweise sogar kannte! – einen länglichen Essay über die Mechanisierung des menschlichen Geistes zu verfassen. Die Automaten erregen eben unsere Fantasie über alle Maßen, und gerade ihre Unzulänglichkeiten sind das Langweilige an ihnen.
Ähnlich agiert auch der Roboterhersteller Boston Dynamics. Die ehemalige Google-Tochter veröffentlicht hin und wieder Videos, in denen ihre Roboter sagenhafte Dinge vorführen, etwa über einen Hindernisparcours laufen. Die meisten Zuschauer gehen davon aus, dass die Maschinen autonom handeln, und so finden sich in den Kommentarspalten zuverlässig Warnungen vor dem baldigen Aufstand der Roboter. Wie der Gründer nun zugab, zeigten die Aufnahmen jedoch das "typischerweise beste Verhalten". Heißt: Genau wie Pepper werden die Roboter ferngesteuert. Trotzdem brauchen sie bis zu 20 Versuche, bis die Aufnahme sitzt.Und ich so, vor gut zwei Jahren:
Über 19 Millionen Mal wurde dieses Video (von Boston Dynamics) betrachtet; viele Nachrichtenmedien nahmen es zum Anlass, über die rasenden Fortschritte der Robotik zu berichten. Einige Spielverderber wiesen allerdings darauf hin, dass der etwa zweieinhalb Minuten lange Film überraschend viele Schnitte enthält, weil die Firma die Stürze des Roboters und seine Fehlversuche der Weltöffentlichkeit lieber vorenthält.Erfolgreiche Journalisten reiten auf dem Hype wie auf ein Surfer auf einer Welle. Ich lerne das wohl nie.