Die Gemengelage in der neuen Regulierungsdebatte ist komplex. Warum rufen Politiker in Europa nach mehr Aufsicht? An dem Geschäftsmodell der Plattformen kann das nicht liegen, denn das ist gleich geblieben: möglichst viele, möglichst aussagekräftige Nutzerdaten sammeln und veräußern. Als unfein oder fragwürdig gilt dies gilt erst, seit den politischen Eliten klar wurde, welche Macht die Sozialen Netzwerke bergen. Die russische Einflussnahme auf den amerikanischen Wahlkampf, später die Enthüllungen über die Datenanalyse-Firma Cambridge Analytica, wecken bei ihnen Ängste vor Desinformation, gezielt gestreute Gerüchte und Propaganda aus dem Ausland.
Bei den Initiativen auf EU-Ebene gegen die amerikanischen Anbieter Google und Facebook wiederum geht es weniger um Datenschutz oder Medienpolitik als um eine "digitale Industriepolitik". Europäische Plattformen sollen zu "Weltmarktchampions" werden, die irgendwann der amerikanischen Konkurrenz entgegentreten können. Man wolle "starke deutsche und europäische Akteure der Plattformökonomie", heißt es beispielsweise im Koalitionsvertrag der Bundesregierung. Gleichzeitig fürchtet gerade die deutsche Regierung und das deutsche Kapital (wegen ihrer extremen Exportabhängigkeit), dass die Handelskonflikte mit den USA eskalieren könnten, wenn die amerikanischen Konzerne wirksamer besteuert oder behindert würden.
Wäre ein europäisches Youtube besser als ein amerikanisches? Was wäre gewonnen, wenn deutsche Geheimdienste statt amerikanischer den Informationsfluss kontrollieren? Meine bescheidene Meinung: Wir brauchen echte Alternativen, "ein neuer Typus öffentlicher Institutionen, die physische und softwaretechnische Infrastruktur aufbauen und betreiben, ohne die private Aneignung von Gewinnen oder den Durchgriff der Exekutive zuzulassen", wie es Rainer Fischbach formuliert hat. Diese Netze müssten unabhängig von Staat und Parteiendemokratie sein, aber dennoch aus Steuermitteln oder Gebühren finanziert werden. Sie könnten auf personalisierte Werbung verzichten, könnten datensparsamer funktionieren und den Nutzerinnen und Nutzern transparente Filtermöglichkeiten bieten.
Labour-Parteichef Jeremy Corbyn hat übrigens vor kurzem medienpolische Forderungen und Ideen präsentiert, die in die richtige Richtung gehen: die journalistische Unabhängigkeit sichern, kommerzielle Interessen und die Einflussnahme finanzstarker Interessensgruppen zurückdrängen, alternative Medienproduzenten fördern.