Donnerstag, 7. März 2019

Nichts Neues vom "Autonomen Fahren"

"Ich hab's euch ja gesagt!" gehört unbedingt in die Kiste der verbotenen Sätze, direkt neben "Ich liebe dich, aber ..." und "Okay, das ist halt deine Meinung!" Ich bitte um Nachsicht, dass ich es mir in diesem Fall wirklich nicht verkneifen kann, darauf hinzuweisen, dass - Vorsicht, gleich kommt's! - ich bereits vor Jahren geschrieben habe:

Ob dieses sogenannte Autonome Fahren sich jemals durchsetzen wird, ist überhaupt noch nicht klar.

Ich zitiere mich mal kurz selbst, "Automatisierung und Ausbeutung" (2017), Seite 94:

Das Beratungsunternehmen McKinsey beispielsweise prognostiziert, dass bis zum Jahr 2025 jeder dritter Lastwagen automatisiert fahren wird. Mit dieser Aussage lehnen sich die Experten gefährlich weit aus dem Fenster. Ich will eine Vollautomation der Individualverkehrs nicht für alle Zeiten ausschließen, aber im Moment setze ich mich bestimmt noch nicht auf die Rückbank. Die selbstfahrenden Autos sind Assistenzsysteme, die in schwierigen und unklaren Situationen den Fahrer warnen und ihm die Steuerung überlassen. Für eine Vollautomation wäre es notwendig, dass die Systeme auf unerwartete Ereignisse – ein Reh läuft quer über die Straße, ein Falschfahrer kommt entgegen – zuverlässig reagieren. Automatisierter Verkehr verlangt eine formalisierte, berechenbare Umgebung – mithin das genaue Gegenteil von Stadtverkehr.
Digitaltechnische Automation beruht immer noch auf Standardisierung, auf Berechenbarkeit eben. Obwohl die Algorithmen, die missverständlich schlau genannt werden, das Feld des Berechenbaren erweitern, stößt die Automatisierung im Straßenverkehr an Grenzen. Erstens lassen sich Verfahren auf der Basis von Künstlichen Neuronalen Netzen nur begrenzt nachvollziehen und sind entsprechend unzuverlässig. Dieses Problem lässt sich zudem nicht mit noch mehr Daten lösen, das Erfolgsgeheimnis des jüngsten KI-Welle versagt. Big Data oder auch Even Bigger Data macht keinen Unterschied, weil die Algorithmen im besten Fall Muster erkennen, aber ansonsten dumm wie Brot sind.

Zweitens wächst der Aufwand an Rechenkapazität, Energieverbrauch und daher Kosten so stark, dass letztendlich der rumänische Lastwagenfahrer vielleicht flexibler und billiger sein könnte.

Kann nicht sein? Bei den Buchpräsentationen können viele Besucher meine Skepsis nicht nachvollziehen, kein Wunder, schließlich weiß jeder Zeitungsleser, dass KI alles verändern wird. Aber wenigstens einer, der sich beim Autonomen Fahren viel besser auskennt als ich, sieht es ähnlich. Thomas Sedran, der Vorstandsvorsitzende der VW-Nutzfahrzeugsparte, wird von der FAZ zitiert mit

Angesichts hoher Kosten und langer Entwicklungszeiträume sei es schwierig, ein komplett autonomes Auto für jedermann anzubieten. Die Komplexität der damit verbundenen Probleme verglich er mit denen einer bemannten Mission zum Mars.
Daimler und BMW haben angekündigt, gemeinsam bessere Assistenzsysteme entwickeln zu wollen und die sogenannten Autonomiestufen 3 und 4 anzugehen.
Dabei hilft das Auto dem Fahrer nicht nur, sondern überwacht den Verkehr, steuert, beschleunigt und bremst in vielen Fahrsituationen selbst.
Die Daimler- und BMW-Entwickler seien überzeugt, heißt es in dem Artikel,
dass Autos dem Fahrer künftig immer komplexere Aufgaben abnehmen. Zuerst werde das im Premiumsegment geschehen.
Eine Zusatzleistung im oberen Preissegment, bevor der Fahrer wieder auf Handbetrieb umschaltet und sich auf der linken Autobahnspur austobt. Wahrscheinlich hat der jüngste KI-Hype seinen Höhepunkt überschritten. Er wäre nur lästig und nicht der Rede (und Schreibe) wert, wenn diese futuristischen Verheißungen nicht den wirklich wichtigen Fragen im Weg stehen würden. Welche Sorte von Verkehr und für wen wollen wir eigentlich haben? Welches der drängenden Probleme soll das Autonome Fahren eigentlich lösen?