Dienstag, 19. Juli 2022

Klima-Mitigation oder Klima-Adaption - anpassen und / oder aufhalten?

Verkehrsinfrastruktur bricht wegen der Hitze zusammen. Klimaanlagen in Bussen und Zügen fallen aus, die Stromnetze sind überlastet. Die Binnenschifffahrt ist wegen der niedrigen Pegel in den Flüssen gefährdet. Weil Wasser zum Kühlen knapp und zu warm ist, müssen Kraftwerke heruntergefahren oder gedrosselt werden. Die Sterblichkeit in den Risikogruppen steigt.

Verwundert stellt die Öffentlichkeit fest, dass wir den Folgen der Klimakrise nicht gewachsen sind. Ein Kommentar im Tagesspiegel formuliert:

Deutschland ist auf Extremwetter nur auf dem Papier vorbereitet

Ich kann bestätigen, dass die zahlreichen Forschungsgruppen, Anpassungspläne und Subventionen für die Anpassung nichts genutzt haben (abgesehen von sehr seltenen löblichen Ausnahmen, meist stadtplanerischer Art). Zum ersten Mal habe ich mich journalistisch im Jahr 2011 mit der Adaption beschäftigt. Dann noch einmal 2015 (übrigens in einem Radiostück mit dem Titel "Wie Deutschland den Klimawandel verschläft"). Konkret umgesetzt wurde nichts. Eigentlich wurde nicht einmal etwas "geplant", auch nicht durch die "Nationale Anpassungsstrategie" der Bundesregierung. Die Selbst-Beschäftigung der Institutionen erweckte höchstens den falschen Eindruck, dass sich irgendwer schon um das Problem kümmern würde.

Im erwähnten Tagesspiegel-Kommentar kritisiert Susanne Ehrlerding:

Dass bisher zu wenig passiert ist, kann man leicht am Sofortprogramm Klimaanpassung ablesen, das die Bundesregierung im März verabschiedet hat. Es stellt fest, dass es bisher keine Zuständigkeit für eine systematische und flächenhafte Förderung von Investitionen in die Klimaanpassung gibt. Ein Ziel war, empfindliche Bevölkerungsgruppen und Einrichtungen stärker bei der Klimaanpassung zu berücksichtigen. Aber wie genau? Zwingend vorgeschrieben wurden Hitzeaktionspläne jedenfalls nicht.
"Aktionspläne zwingend vorzuschreiben" führt nicht sehr weit. Es nutzt auch wenig, Angehörige von Risikogruppen mit SMS-Nachrichten zu warnen, wie es beispielsweise Frankreich tut, wenn ihnen dann keine konkrete Hilfe angeboten werden kann.

Der Schlüssel für eine sinnvolle Anpassung sind öffentliche Infrastrukturen, Versorgungsnetze für Energie, Wärme, Wasser und Kommunikation, aber auch soziale Strukturen in den Bereichen Bildung, Kultur, Krankenversorgung, Pflege und Sozialleistungen. Es braucht kollektive und einheitliche Lösungen.

Das gilt nicht zuletzt deshalb, weil Adaption und Mitigation sich oft widersprechen. Wir erleben es gerade: Wegen der niedrigen Pegelstände verlagert sich Fracht auf die Straße. Für die Kühlung wird mehr Strom verbraucht. Das führt zu noch mehr Treibhausgasen. Die Menschen kaufen sich Klimanlagen für ihre Wohnungen - müssen es zum Teil, es gibt ja keine öffentlichen Alternativen - und erhitzen den Nahraum um ihre Häuser weiter. Was kurzfristig hilft, schadet langfristig - wenn es die Treibhausgaskonzentration weiter erhöht. In vielen Fällen verschärfen auch individuelle Verhaltensweisen die Lage von anderen Menschen: Was kurzfristig den einen hilft, schadet anderen.

Adaption kann Mitigation verhindern. Aber wenn die Emmissionen weiter steigen, ist jede Anpassungsstrategie chancenlos, egal wie viele Milliarden Euro dafür fließen. Wir brauchen eine Anpassung ans Unvermeidliche, die gleichzeitig die ökologische Krise entschärft oder wenigstens nicht weiter verschlimmert. Wir brauchen einen Plan, der alle gesellschaftlichen Bereiche umfasst und sich beherzt über die Kapitalinteressen und Staatenkonkurrenz hinwegsetzt.

In meinem Radiofeature von 2015 habe ich das Problem so ausgedrückt:

Klimaschutz und Klimaanpassung können sich durchaus widersprechen. Anpassung kann sogar zu einem Nullsummenspiel werden, etwa wenn Fluss-Anrainer versuchen, den eigenen Deich ein Stückchen höher zu bauen als ihr Nachbar. Die Bevölkerung wird sich so oder so an die veränderten Umweltbedingungen anpassen. Die Frage ist, wie gezielt und wie vernünftig sie es tun wird.
Die Klimakrise eskaliert rasend schnell. Dass sie eskalieren wird, habe ich seit ungefähr fünf Jahren erwartet und, mit meiner schwachen Stimme, auch gesagt. Das befriedigt mich allerdings überhaupt nicht. Ich spüre keine Schadenfreude, schließlich habe ich ihn selbst auch. Es ist durchaus möglich, dass ab jetzt alle kommenden Sommer ähnlich heiß und trocken werden. Vielleicht habe wir Glück, dann kommen wir ein oder zwei Jahre glimpflich davon. Vielleicht sogar länger. Mittelfristig werden sich extreme Hitzesommer unvermeidlich häufen. Die Agrarkrise, die ich in Klima Chaos Kapital skizziert habe, kam schneller, als ich mir vorstellen konnte, angetrieben durch den russischen Überfall auf die Ukraine. Aber selbst wenn dieser Krieg bald enden würde, wird sie kaum nachlassen.

In meinem Buch habe ich versucht, plausibel zu machen, dass jede Strategie der Anpassung und Milderung innerhalb der bestehenden Macht- und Eigentumsstrukturen aussichtslos ist und gleichzeitig unsere Zivilisation auf dem Spiel steht. Eigentlich habe ich in Wirklichkeit mich selbst davon überzeugt. Ich habe mich zu einer realistischen Analyse gezwungen, weil ich gerne andere Alternativen sehen würde. Dann stünden unsere Chancen besser.