Dienstag, 8. Mai 2012

Was bleibt vom Sequenzierungs-Hype?

Nach wie vor ist regelmäßig zu lesen, dieses und jene "Gene für X" sei nun entdeckt worden, wobei die Variable offenbar für ziemlich jedes körperliche oder geistige Merkmal stehen kann. Da tut es gut, dass wenigstens Humangenetiker und Mediziner hinter die Aussagekraft der individuellen genetischen Varianten ein großes Fragezeichen machen.
Mein Bericht über die Anhörung des Deutschen Ethikrats letzte Woche zu "Grenzen und Möglichkeiten prädiktiver genetischer Diagnostik" bei komplexen Krankheiten ist gerade bei Telepolis erschienen.
Ohne Computer wäre es nicht möglich geworden, die Abfolge der Nukleotiden im Zellkern aufzulisten. Aber der Zusammenhang zwischen moderner Genetik und Informationstechnik geht über die Technik der DNA-Sequenzierung hinaus. Weil es halt so praktisch gewesen wäre, übernahm der Mainstream der Genetik von der Informationswissenschaft (je nach Vertreter mehr oder weniger bewusst) das Modell einer Programmsteuerung. Die elementaren Zeichen im "Code der Erbinformation" seien die Basenpaare, die bei der Zellvermehrung ausgelesen werden und so die Ontogenese regeln, die Entwicklung des lebendigen Organismus. In diesem Modell sind die Aufgaben klar verteilt: Die DNA teilt den Zellen mit, was sie zu tun und zu lassen haben. Der Ablauf "DNA - Transkription - RNA - Translation - Protein" entspräche demnach einer Signalkette und, sofern dieser Prozess störungsfrei verläuft, der Genotyp dem Phänotyp.