Mittwoch, 7. November 2012

In letzter Zeit mache ich ja eher weniger in Stilkritik. Du wirst einfach nicht fertig. Während du einen Artikel schmähst, erscheinen zwei neue, die noch schlimmer sind. Ist ja eigentlich nicht verwunderlich: Je schlechter die Arbeitsbedingungen der Kolleginnen und Kollegen, desto weniger sorgfältig wird formuliert, also nachgedacht. Besonders fällt das auf, wo Stimmung machen und Atmosphäre verbreiten zum Job dazu gehören.
Wenn es Orte gibt, an denen die Trostlosigkeit wohnt, dann hat sie hier ein Zuhause gefunden. Ganz unten in einem dieser Elfgeschosser, die wie ein mürbe gewordener Zahn am Stadtrand von Berlin stehen, aschfahl, vernachlässigt, ein grau gewordener Menschenkäfig.
Aber was Constanze von Bullion gestern in der Süddeutschen abgeliefert hat, ist, by all standards, ein starkes Stück. Prosa.
Harry H. hat in Nummer 54 gewohnt, Parterre rechts … Sie riecht nach Rauch, und das wenige, das drinnen zu erkennen ist, sieht nicht nach einem trauten Heim aus.
Gemeint ist Spandau. Harry H. hat also in Nummer 54 gewohnt. Aber ein richtiges Zuhause war das nicht. Vielleicht hat er sich ja mit seiner Mitbewohnerin, der Trostlosigkeit, nicht verstanden.
Betitelt ist der Text übrigens mit „Rache für ein kaputtes Leben“ Fragezeichen. Rache? Wer weiß. Wessen Rache? Wer weiß. Von Bullion bestimmt nicht. Weder Bekannte des Opfers, noch des Täters haben mit ihr geredet. Aber sie verfasst natürlich trotzdem gerne 5 000 Zeichen.