Montag, 12. März 2018

Verhaltenstherapie, the only game in town

Wie der Zufall es will, auch die BBC-Sendung Click (übrigens fast immer hervorragend) von letzter Woche widmet sich dem psychotherapeutischen Chatbot Woebot, der auch in meinen Radiostücken und Artikeln zum Thema auftaucht. Der BBC-Bericht beleuchtet die Idee, verhaltenstherapeutische Software gegen Depressionen einzusetzen, wohlwollend bis leicht skeptisch. Bezeichnend, wie die Entwicklerin Alison Darcy das Problem beschreibt, das ihre Software angeblich löst:
Intense emotion and distorted thinking is something that we all as humans have. There should be something there that is reliable and effective. I would rather learn some skills that be handed some pills.
Woebot soll Fähigkeiten vermitteln. Die Verhaltenstherapie interessiert sich nicht für Psychodynamik, nicht für Persönlichkeitsformung. Innere Prozesse sind ihr egal, sie behandelt die Psyche als black box. Sie interessiert sich aber keinen Deut mehr für die äußeren Lebensumstände der psychisch Kranken. Noch einmal die Woebot-Entwicklerin:
It’s not events themselves that upset us, but our interpretation of those events. Imagine somebody loses their job. Somebody might think: 'Oh, I am such a loser, I will never get another job.' That is actually what is upsetting them, not the job lose itself. When we feel intense emotion, there is bias in those thoughts.
Soweit der aktuelle Stand der psychologischen Wissenschaft an der Eliteuniversität Stanford.

Die Patienten sollen nicht ihre Umwelt verändern und nicht ihre Persönlichkeit erforschen. Was bleibt dann übrig? Ihre angeblich falsche Wahrnehmung, die "distortions and errors in our thinking", wie in dem Radiobeitrag formuliert wird!

In der Behandlungspraxis bedeutet Verhaltenstherapie „üben, üben, üben“. Verhaltensänderung wird nur als Lernprozess aufgefasst; daher die kognitive Schlagseite dieses Ansatzes. Der Behaviorismus - die theoretische Grundlage der Verhaltenstherapie - beherrscht die Entwicklung entsprechender Software völlig. Auch, aber nicht nur, weil er die psychologische Lehre und Forschung dominiert. Andere Ansätze beruhen auf zwischenmenschlichen Dynamiken, etwa die psychoanalytische Übertragung oder die Arbeitsbeziehung zwischen Therapeut und Patient, die tiefenpsychlogische Prozesse anstoßen soll - in jedem Fall auf intersubjektiven Prozessen, die mit Computerprogrammen nicht umzusetzen sind. Daher ist in der digitalisierten Psychotherapie der Behaviorismus buchstäblich das einzige Angebot, the only game in town.

Zwischenmenschliche Dynamik ist eben etwas anderes als Mensch-Maschine-Interaktion, und zwar unabhängig davon, wie ausgefeilt die Schnittstellen sind. Solange es den Menschen bewusst ist, dass sie mit einer Software interagieren, werden die angesprochenenen Effekte ausbleiben. Die Software wirkt höchstens normativ, sie vermittelt den Nutzern, was gesellschaftlich erwünscht und angeblich wissenschaftlich gesichert ist. Banal, aber entscheidend: der Chatbot ist kein Mensch, deshalb keine intersubjektive Wirkung.

Die Computerprogramme sind Expertensysteme, deren klar definierte Entscheidungsbäume der Komplexität und Individualität der Menschen nicht gerecht werden. Im Bereich der psychischen Krankheiten und Persönlichkeitsstörungen herrschen die Grautöne vor, die Übergänge. Ob statistische Big Data-Analysen erfolgreicher sein werden? Bisher jedenfalls scheint es mir unverantwortlich, verwirrte und belastete Menschen mit electronic mental health abzuspeisen.