Dienstag, 21. April 2015

Mit der "Investitionsinitiative" auf dem Weg zu Schattenhaushalten?

Heute hat die "Expertenkommission zur Stärkung der Investitionen" Wirtschaftsminister Gabriel ihre Vorschläge überreicht. Auch die Endfassung ist mittlerweile im Netz. Ich wiederum habe für Telepolis einen Artikel über die Hintergründe geschrieben.

Ziel der Kommission war es, Wege zu finden, wie privates Kapital in Infrastruktur-Projekte fließen kann. Dass die Straßen und öffentlichen Einrichtungen in einem beklagenswerten Zustand sind, ist allerdings bei dieser Regierungsiniative eher nebensächlich.

Mehr privates Kapital und private Beteiligung seine nötig, argumentiert Bundeswirtschaftsminister Gabriel, um die marode Infrastruktur Deutschland zu reparieren und neue Energie- und Breitbandnetze aufzubauen. Denn seit den frühen 1990er Jahren sind die Abschreibungen auf die staatliche Infrastruktur geringer als neue Investitionen. Das bedeutet nichts anderes, als dass der Wertverlust nicht ersetzt wird oder, wie nun immer häufiger zu hören ist, "Deutschland auf Verschleiß" oder "von der Substanz lebt". Einigermaßen plötzlich wurde "Investitionsstau", "Investitionslücke" oder "Investitionsschwäche" zum prominenten medialen Thema.
Nachdem der Verschleiß der sogenannten Daseinsvorsorge jahrzehntelang kaum beachtet wurde, häufen sich nun dramatische Warnung. Der Investitionsstau beträgt je nach Schätzung zwischen 100 und 150 Milliarden. Das bedeutet aber auch: Die "Investitionsoffensive" würde sozusagen zu "ÖPP hoch zwei" führen. Würden die Vorschläge der Kommission umgesetzt, flössen gewaltige Geldströme aus Steuermitteln und Nutzerentgelten hin zu privaten Unternehmen.
Mutet dieser Ablauf nicht bekannt an? Ob mit der "Agenda 2010" der deutsche Arbeitsmarkt umkrempelt werden sollte oder ob wegen der "demographische Katastrophe" die Alterssicherung für Kapitalmarktakteure geöffnet wurde – immer bereiteten Angstdebatten und nationale Abstiegsphantasien den Weg. Immer bestand die Gefahr, dass "wir unseren Wohlstand verspielen", wenn es so weitergeht wie bisher. Und wieder steht das Mittel bereits fest, um die vermeintlich anstehende Katastrophe abzuwehren.

En passant versuche ich in meinem Artikel auch, vereinfachenden und personalisierenden Erklärungen für dieses Regierungsvorhaben entgegenzutreten - auch wenn's in diesem Fall (angesichts der Besetzung der Kommission) wirklich schwer fällt!

Hat die Finanzbranche die Bundesregierung in die Tasche gesteckt? Sagt Jürgen Fitschen (Deutsche Bank) Sigmar Gabriel (SPD), was er zu tun hat? Nein, eine solche Sichtweise wäre zu einfach, schon weil sich die gleichen Tendenzen in anderen europäischen Ländern und auf europäischer Ebene (mit dem Juncker-Plan) zeigen. In gewisser Weise sind staatlich garantierte Renditen für die Finanzindustrie folgerichtig: Weil auch durch das spottbillige Geld der Zentralbanken bisher keine eigenständige Wachstumsdynamik entsteht, sucht das Kapital zunehmend verzweifelt nach lukrativen Anlagemöglichkeiten. Lukrativ sind aber nur Investitionen, die echte Gewinne versprechen.
"Es muss uns auch weltweit besser gelingen, die riesige, nach langfristigen Anlageformen förmlich dürstende Liquidität in Investitionen zu lenken", sagte Finanzminister Schäuble in der letzten Haushaltsdebatte, in der er stolz seine Schwarze Null präsentierte und von der Regierungsfraktion dafür mit minutenlangem Applaus bedacht wurde. Eine rigide "Haushaltskonsolidierung" schließt aber Wachstum aus, das gibt es nur auf Pump.
Catch my drift? "Verwertungskrise" statt "neoliberaler Raubzug".

Montag, 20. April 2015

Fun fact # 20: Geldkritik

Der Geldkritiker Hans Christoph Binswanger war der Doktorvater von Josef Ackermann, ehemaliger Chef der Deutschen Bank.
Der frühere DB-Volkswirt Thomas Mayer plädierte letztes Jahr dafür, die Geldmenge zu schrumpfen und die Kreditschöpfung lediglich dem Staat vorzubehalten.

"Versicherungsrettung" ante portas?

Oxymoronische Illustration von der Startseite des Bundesfinanzministeriums: Deutschland baut auf, ohne sich zu veschulden.
Morgen wird die "Expertenkommission zur Stärkung der Investitionen" Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel ihren Bericht übergeben, wie privates Kapital für die deutsche Infrastruktur fließen kann. Die ist (wie uns seit kurzem, aber nun immer häufiger erzählt wird) kaputt, marode und eine einzige Katastrophe. Aber wem würden die Vorschläge nutzen, die von der Kommission entwickelt wurden?
Für Deutschlandfunk-Hintergrund habe ich einen Beitrag zum Thema gemacht.
Der Kommissionsbericht empfiehlt nicht grundsätzlich mehr ÖPP. Aber er enthält durchaus Vorschläge, die solche Beteiligungen Privater später erleichtern könnten. Zu ihnen gehören:

Infrastrukturfonds, in denen möglichst viele Projekte gebündelt werden.
Eine solche nationale oder regionale Zusammenfassung ist im Interesse der Finanzbranche: Sie will investieren, aber ihr Risiko streuen.

Ein Bürgerfonds, der Kleinanlegern offen steht.
Infrastruktur-Volksaktionen wären geeignet, "Ängste und Vorurteile in der Bevölkerung" zu zerstreuen, wie es in einem Papier der Kommission formuliert wurde.

Eine Infrastrukturgesellschaft für Kommunen.
Sie soll Städten und Gemeinden helfen, die wirtschaftlichste Beschaffungsalternative zu finden. Auch skeptische Bürgermeister und Stadträte würden sich wohl beeindrucken lassen, wenn diese Gesellschaft zu einer ÖPP rät.
Hintergrund dieser RegierungsiInitiative ist die finanzielle Klemme, in die Versicherugnen, Pensionsfond und in gewissem Umfang auch die Banken durch die niedrigen Zinsen geraten.
Weil die Zentral banken witerhin alles tun, um die Zinsen zu drücken, suchen institutionelle Anleger immer verzweifelter nach lukrativen Investitionsmöglichkeiten. Besonders den Versicherungen macht die Zinsentwicklung zu schaffen. Auf der einen Seite fehlt Kapital. Auf der anderen Seite fehlen attraktive Möglichkeiten, Kapital anzulegen. Würden also Versicherungen und Pensionskassen in die öffentliche Infrastruktur investieren, so die Idee, wären zwei Probleme auf einmal gelöst.
Der Wunsch der Finanzbranche, der Staat möge ihr neue Anlagemöglichkeiten schaffen, ist allerdings äußerst brisant. Diese Woche fiel die jährliche Rendite zehnjähriger Staatsanleihen unter 0,1 Prozent. Das bedeutet: die Bundesrepublik kann gegenwärtig nahezu kostenlos Kredit aufnehmen, während private Anleger eine wesentlich höhere Rendite erwarten- die letztlich von den Nutzern und Steuerzahlern bezahlt wird.

Sonntag, 19. April 2015

Freitag, 17. April 2015

Wolfgang Schäuble erzählt einen Witz

Patrick Bahners - meiner Meinung nach ein FAZ-Autor mit einer eigenen Haltung - schreibt über die Diplomatie des Finanzministers.
Zum Abschluss erzählt Wolfgang Schäuble einen Witz. Genauer gesagt: Er erzählt davon, wie er einmal einen Witz erzählt hat. Er liebe es nämlich, Witze zu erzählen, und so habe er vor ein paar Monaten die Prognose gewagt, es könne sein, das Wladimir Putin eines Tages noch den Karlspreis bekommen werde, wegen seiner Verdienste um die Einigung Europas.
Lustig. Ein neuer Kalter Krieg mit Russland, ein heißer Stellvertreterkrieg auf der Krim dazu, da ist es gut, dass Schäuble die gute Laune nicht verliert. Mit dem "Humor des Finanzministers" hat es allerdings so seine Bewandtnis, bemerkt Bahners.
Ein wiederkehrendes Merkmal der freien Rede sind bei Schäuble Eruptionen einer untergründigen Heiterkeit, deren Gegenstände sich nicht einfach benennen lassen. Man weiß oft nicht, warum sich gerade jetzt ein Lächeln auf sein Gesicht schleicht oder ein Kichern in seine Stimme. Was er sich denkt, geht nicht auf in dem, was er sagt. Sein vulkanisches Ingenium lässt auf einen empfindlichen Sinn fürs Absurde und Groteske seines Metiers schließen.
Wonach klingt das? Feuilleton-Prosa, sicher. Aber, mit Verlaub, nicht auch nach Diagnose? Handelt es sich um einen politischen Realitätsverlust im klinischen Sinn? Oder, anders gefragt: Woher kommt Wolfgang Schäubles unerschüttliche Gelassenheit und Glauben, im großen und ganzen werde alles gut gehen (bei gleichzeitiger äußerster Erregbarkeit im Kleinen)?

Natürlich repräsentiert Schäuble den "diskreten" europäischen Hegemon im konkreten wie übertragenen Sinne. Deutschland / Europa als soft power ist ein Schlüsselbegriff seines politischen Selbstverständnisses, er benutzt ihn in jeder dritten Rede. Aber er repräsentiert deutsche Macht ganz anders als Kanzlerin Merkel mit ihrer sedierenden, mäandernden Rhetork, mit ihrem mütterlich-beruhigenden Gestus. Schäuble spricht apodiktischen, belehrenden Klartext: Er hat alles gesehen und erlebt und verstanden. Er weiß, das deutsche Schiff geht niemals unter, und wenn es doch einmal untergeht, dann taucht es fast unversehrt wieder auf.
Bahners schreibt:

Finanzpolitik, so mag man das verstehen, der spekulative Erwerb von Kredit, ist heute die Leitdisziplin unter den Staatskünsten. Waffen scheinen entbehrlich, weil es Bluff und Finte gibt. Schäuble selbst legt den Gedanken nahe, dass die Routine im Hinausschieben des großen Kassensturzes, die die Regierungen der Eurozone erworben haben, ein Muster des Krisenmanagements auch in der Frage von Krieg und Frieden liefert.
Das trifft etwas. Haben Merkel und Schäuble vielleicht so viel Routine darin erworben, dass sie den deutschen Kassensturz für auf ewig aufschiebbar halten?

Samstag, 11. April 2015

Dienstag, 7. April 2015

Echt wahr?

Für die neue Konkret habe ich eine kleine Glosse über Googles Versuch geschrieben, seine Suchergebnisse nicht nur auf Popularität, sondern auf Fakten zu setzen. Aber was um Himmels ist ein Fakt? Vor allem, weil eine Plattform wie Google bei jeder Gelegenheit darauf behaart, keine redaktionelle Rolle für der Öffentlichkeit zu spielen, sondern eben bloß Sucher einerseits und "gesuchten Inhalt" andererseits zusammenzubringen - und weil der Konzern menschliche Arbeitskraft natürlich nicht bezahlen will.
Automatisch ist wichtig, weil: Je vernunftbegabter die Wesen, umso größeren Wert legen sie darauf, bezahlt zu werden. Das Erfolgsrezept von Google und anderen Sozialen Medien, Plattformen und Suchmaschinen besteht aber gerade darin, alles, was kostet, gar nicht erst anzufangen. Den größten Profit im Netz macht, wer verbreitet, was andere hergestellt haben.
Facebook oder Google betonen, sie seien keine »publizistischen Einheiten«. Sie unterhalten keine Redaktionen, prüfen keine Fakten, wählen keine Nachrichten aus. Statt dessen überlassen sie es (angeblich) ihren Algorithmen, bestimmte Inhalte an bestimmte Nutzer zu vermitteln. Leider kommt dabei heraus, dass alle User Katzen lieben und an 9/11 zweifeln.