Dienstag, 28. Dezember 2021

Die Roboter kommen nicht

Für die Sendung Andruck / Deutschlandfunk habe ich Simon Schaupps sehr empfehlenswertes Buch "Technopolitik von unten" besprochen. Er arbeitet abermals heraus, dass die digitale ("algorithmische) Arbeitssteuerung für die Betriebe eine Alternative zur Automatisierung ist.

Mittwoch, 15. Dezember 2021

Fun fact # 53: Finanzmarkt

Die Marktkapitalisierung von Krypto-Währungen (inklusive abgeleiteter Finanzprodukte) liegt Mitte Dezember 2021 bei 2,3 Billionen US-Dollar. Seit Anfang 2020 hat sich dieser Wert verzehnfach. Im September lag er bei 3 Billionen Dollar, was gut einem Prozent des globalen Finanzvermögens insgesamt entsprach.

Dienstag, 14. Dezember 2021

Daß ein Publikum sich selbst aufkläre, ist eher möglich; ja es ist, wenn man ihm nur Freiheit läßt, beinahe unausbleiblich.
Influencer aus Königsberg, 1784

Freitag, 10. Dezember 2021

Schönheitsideale, erbarmungslos

40 Kamele wurden wegen unerlaubten Manipulationen von einem Schönheitswettbewerb in Saudi-Arabien ausgeschlossen. Die Lippen, Nüstern und andere Körperteile wurden mit Botox verformt oder gedehnt, den Tieren Hormone verabreicht, um sie muskulöser zu machen. Solche Praktiken verbreiten sich (wenigstens meiner sekundenschnellen Internetrecherche zufolge) schon seit Jahren.

Die BBC berichtet:

Judges used "advanced" technology to uncover tampering with contestants in the pageant. Their heads, necks and torsos were then scanned with X-ray and 3D ultrasound machines, and samples were taken for genetic analysis and other tests.
Insgesamt traten ungefähr 33 00 Kamele bei den Wettbewerb im Rahmen des „King Abdulaziz Camel Festival“ auf.

Dienstag, 7. Dezember 2021

Fun fact # 52: Wachstumsmarkt

11,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entstehen im sogenannten Gesundheitswesen. Knapp sechs Millionen Menschen sind in diesem Bereich erwerbstätig, das entspricht ungefähr jedem achten Beschäftigten.

Montag, 6. Dezember 2021

Mittwoch, 1. Dezember 2021

Warum kann die WHO kaum noch etwas durchsetzen?

Bilaterale Impfdiplomatie: ein Geschenk der Volksrepublik China

Eigentlich banal: eine Epidemie muss nicht zur Pandemie werden! Länder können den Ausbruch eines Krankheitserregers auch eindämmen. Dazu müssen sie allerdings Informationen und medizinische Ressourcen teilen, miteinander kooperieren, "an einem Strang ziehen". In der Covid-19-Pandemie tun die Staaten bis heute das gerade Gegenteil. Sie schotten sich ab, horten ihre Ressourcen und schieben anderen die Schuld zu. Zwischen ihnen, mehr oder weniger hilflos, die Weltgesundheitsorganisation, die mit eigenen Problemen zu kämpfen hat.

Für WDR 5 haben ich ein Feature über die Dauerkrise der WHO gemacht.

Heute hat die Weltgesundheitsversammlung in Genf übrigens beschlossen, in Verhandlungen über einen Pandemievertrag einzutreten, wie es unter anderem Deutschland gefordert hat. Im Fall internationaler Gesundheitsnotlagen (wie beispielsweise Covid-19) soll die WHO mehr Rechte bekommen. Aber die Interessen der Großmächte und verschiedenen Blöcke liegen weit auseinander. Ich bin skeptisch, ob dieser Vertrag mehr sein wird als eine weitere internationale Vereinbarung voller unverbindlicher Formulierungen und ohne praktische Bindungskraft, so wie die Internationalen Gesundheitsvorschriften. Auch sie sind "völkerrechtlich verbindlich" und werden von Regierungen und Administration notorisch ignoriert.

Das Problem ist nicht in erster Linie ein medizinisches oder biologisches, sondern ein politisches. Zugegeben, dass die gegenwärtige Pandemie zu einem solchen Fiasko wurde, liegt auch an der Stärke der nationalen Pharmaindustrien, die offenbar in der Lage sich, die Impfstoff-Produktion mit ihren Patenten zu verknappen. Aber ihr kommerzielles Interesse ist weniger wichtig als das machtpolitische Interesse der Staaten, die mit Impfungen und Einreiseverboten Geopolitik betreiben.

Die Krise der WHO ist Ausdruck der Krise des Multilateralismus (genauer: dem Fehlen einer stabilen Weltordnung mit klarer Hegemonie). Sie war immer schon eine Arena der Diplomatie und geopolitischen Auseinandersetzung. Neu ist, dass sich die Kämpfer in dieser Arena kaum noch auf die Spielregeln einigen können.

Die Anfänge der internationalen Zusammenarbeit für die Seuchenkontrolle liegen im 19. Jahrhundert. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dies zu einer Kernaufgabe WHO. In ihrer Gründungsakte von 1946 heißt es:

Die Gesundheit aller Völker ist eine Grundbedingung für den Weltfrieden und die Sicherheit … Ungleichheit zwischen den verschiedenen Ländern in der Verbesserung der Gesundheit und der Bekämpfung der Krankheiten, insbesondere der übertragbaren Krankheiten, bildet eine gemeinsame Gefahr für alle.
Krankheitserreger zu bekämpfen, das liegt im wohlverstandenen Eigeninteresse - oder eben nicht. Denn vielleicht trifft die Seuche den Konkurrenten härter als einen selbst. So übel steht es wohl um das gegenwärtige Staatensystem.

Freitag, 26. November 2021

Fun fact # 51: Wohnungsnot

In China stehen gegenwärtig mindestens 65 Millionen Wohnungen leer - genug, um die Bevölkerung Deutschlands, Franreichs oder Großbritanniens unterzubringen.

Donnerstag, 11. November 2021

Lässt sich die nächste Pandemie wenigstens eindämmen?

Anfang der Woche brachte SWR 2 ein neues Radiofeature von mir über die Lehren aus Covid-19. Können wir Ausbrüche von neuen Krankheitserregern früher erkennen? Wie lassen sie sich eindämmen?

Global Health ist ein merkwürdiges Feld. Da mischen sich Medizin und Tiermedizin, Ökonomie und Geopolitik. Ich gebe einen Überblick über die Debatten nach dem Schock durch Covid-19.

Der Schock durch die Pandemie hat dazu geführt, dass die Regierungen gute Vorsätze fasssen, wie sie das Problem zukünftig in den Griff bekommen wollen. Was davon umgesetzt werden wird, wenn das Thema wieder in den Hintergrund getreten ist, lässt sich noch nicht sagen. Dabei sind die Probleme bei der internationalen Zusammenarbeit, in der Weltgesundheitsorgansation und die Treiber des Zoonosen-Risikos keineswegs neu.

Dienstag, 9. November 2021

Fun fact # 50: Gesundheitsgefahren

Durch einen Ausbruch von Ebolafieber in Guinea starben von 2014 bis 2016 insgesamt 2543 Menschen. Im selben Zeitraum kostete die Malaria etwa 28 000 Menschen in diesem Land das Leben.

Donnerstag, 7. Oktober 2021

Freitag, 24. September 2021

Können Viren aus einem Labor eine Pandemie auslösen?

Ein weiterer Text von mir zur sogenannten Laborthese ist letzte Woche beim Freitag erschienen und jetzt der Netzöffentlichkeit zugänglich.

Es gibt keine Indizien dafür, dass SARS-CoV-2 synthetisch erzeugt wurde, und auch keine, dass die ersten Patienten in Wuhan Kontakt zu biowissenschaftlichen oder medizinischen Labors hatten. Prinzipiell möglich ist es dennoch, dass Erreger aus einem Labor entweichen und Infektionsketten auslösen. Es wäre nicht das erste Mal:

Als im Jahr 1967 Affen aus Uganda für die Impfstoffproduktion nach Deutschland eingeführt wurden, brachten sie eine Zoonose mit. Der Ausbruch in Marburg kostet sieben Menschen das Leben, lange bevor das „Marburg-Virus“ Todesopfer in Afrika forderte. 1978 infizierte sich im englischen Birmingham eine Person mit einem Pockenvirus aus einem Labor und starb. 2010 verbreitete sich in Südengland die Maul- und Klauenseuche wegen einer defekten Abwasseranlage in einer Forschungseinrichtung. Das erste SARS-Coronavirus entkam 2003 und 2004 mindestens viermal aus Forschungseinrichtungen in China, Taiwan und Singapur. Weitere Beispiele ließen sich anfügen.
Für die medizinische Forschung werden Erreger gesammelt, über weite Strecken transportiert und vermehrt. Da kann es nicht wundern, dass diese Forschung zu einem "überregionalen Vektor" für Krankheiten wird. Und je mehr Experimente mit hochgefährlichen Erregern stattfinden, umso größer ist naturgemäß die Wahrscheinlichkeit einer unbeabsichtigten Freisetzung. Lohnt sich das?

Ich habe die Debatte zum Anlass genommen, um die Situation in Deutschland zu betrachten. Ich wollte herausfinden: Findet hierzulande überhaupt sogenannte gain of function-Forschung statt, bei der Pathogene fitter gemacht werden als sie bereits sind? Wie gefährlich sind solche Experimente? Und wie sind die Labore gesichert?

Das Recherche-Ergebnis: schwer zu sagen. Die Situation ist nämlich wenig transparent.

Wie es um die Biosicherheit wirklich steht, ist beinahe unmöglich herauszufinden. Die Zahl der Störfälle und versehentlichen Infektionen wird nicht bundesweit erfasst und schon gar nicht veröffentlicht. Theoretisch müssen Unfälle und Störfälle gemeldet werden, aber nur bei der kommunalen Gewerbeaufsicht.
Eine Anfrage bei zehn Behörden in Regionen, wo sich Labore der Sicherheitsstufe 3 und 4 befinden, ergibt ein merkwürdiges Bild: Kaum eine kann sagen, wie häufig Störfälle und Unfälle waren. Bei vielen sind im vergangenen Jahrzehnt überhaupt keine Meldungen eingegangen, selbst dort, wo sich die biologische Forschung konzentriert. Sechs Meldungen seit 2006 betrafen technische Störungen, etwa automatische Türen oder Abluftfilter. Eine einzige Meldung aus dem Jahr 2009 betraf einen Arbeitsunfall, der eine Infektion auszulösen drohte.
Im Rahmen dieser Recherche habe ich übrigens im August auch das Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales angeschrieben und als Antwort erhalten:
Meldungen zu Unfällen und Betriebsstörungen sind nicht eingegangen. Entsprechende Vorkommnisse sind uns auch aus anderen Quellen (Polizei, Gesundheitsbehörden) nicht bekannt geworden.
Nun wird bekannt, dass bereits Ende Juli in einem Labor des Virchow-Klinikums Q-Fieber ausgebrochen ist. Die Rede ist einmal von 20 Infizierten, dann wieder von 15. Ob es darunter sekundäre Infektionen - von Mensch zu Mensch - gab, und auf welcher Sicherheitsstufe gearbeitet wurde, ist ebenfalls unklar.

Dienstag, 31. August 2021

Sonntag, 22. August 2021

Klima Chaos Kapital
Wann bricht der Kapitalismus zusammen?

Beliebte "postapokalyptische" Ikonographe mit tröstlicher Botschaft: Das Leben geht weiter. 

Über mein Buch "Klima Chaos Kapital" ist eine lobende Besprechung in der Junge Welt erschienen. Das freut mich besonders, weil der Rezensent Christian Stache ein ausgewiesener Kenner der marxistisch-ökologischen Debatte ist. Kritisch merkt er allerdings meine "Wiederbelebung der Zusammenbruchstheorie" an:

Becker behauptet etwa: »Wir steuern auf einen chaotischen Zusammenbruch zu.« Dies begründet er unter anderem mit guten Argumenten gegen die verschiedenen Formen eines »grünen« Kapitalismus als potentiellem neuen Akkumulationsregime. Allerdings nimmt er dabei, politisch verständlich, das Adjektiv ernst. Nachhaltig wird der Kapitalismus tatsächlich nicht. Aber dem kollektiven Interesse der Kapitalistenklasse an der Überausbeutung der Natur steht die Notwendigkeit gegenüber, die Reproduktion der Produktionsbedingungen zu gewährleisten. Dass ein solcher "Kompromiss" zwischen Kapital und Natur ein neues Wachstumsmodell begründen könnte, ist zumindest nicht auszuschließen.
Wie sieht es aus mit der Kompromissfähigkeit des Kapitals? Ein paar kurze Bemerkungen:

Zunächst, "Zusammenbruch" ist ein großes und missverständliches Wort. An einer Stelle im Buch spreche ich, vielleicht etwas präziser, von einem mittel- bis langfristigen Niedergang: „Die kapitalistische Entwicklung wird nicht an eine Grenze stoßen wie ein Auto gegen eine Mauer prallt." Aber die Klimakrise könnte (verstanden als sozial-ökonomisch-ökologisches Phänomen, nicht nur als steigende Temperaturen!) die Fahrgeschwindigkeit immer weiter senken, um im Bild zu bleiben, sozusagen wie ein Getriebeschaden der Akkumulation wirken.

Verlaufsformen des Zusammenbruchs, aus einer aktuellen Studie

Bei der Recherche für das Buch wurde mir klar, wie bedeutend seit den 1980er Jahren die relative Steigerung der Mehrwertrate durch Globalisierung und Verbilligung (Nahrung, Energie, Migration, Arbeit) für die Stabilität des Weltsystems war. Die Prosperität in dieser Phase wäre ohne sie nicht möglich gewesen. Dass die industrielle Rationalisierung auch die Arbeitskraft verbilligt, ist natürlich nichts Neues. In den Jahrzehnten nach der Öl- und Währungskrise 1973 war diese Verbilligung aber besonders wichtig, weil neue Basisinnovationen ausblieben und keine Leitsektoren entstanden, die eine vergleichbare Rolle wie die Innovationen in der Phase davor spielen konnten. Die Automobilindustrie und der petrochemische Komplex insgesamt wurden nicht abgelöst. Der Raubbau (insbesondere in der Landwirtschaft) wurde zu einem wesentlichen Treiber der Akkumulation. Überhaupt gibt es in Hinblick auf die Herstellungsverfahren und Rationalisierungsstrategien keine unterscheidbare "fordistische" und "postfordistische Phase".

Die Strategien der Verbilligung stoßen nun auf soziale, ökologische und ökonomische Widerstände. Die gegenwärtige ökologische Krise ist global in dem Sinn, dass grundlegende Kreisläufe des Erdsystems entgleiten. Wir befinden uns in einer ganz neuen historischen Situation (bekanntlich auch naturgeschichtlich, was zum Beispiel an der Treibhausgas-Konzentration und anderen "Anthropozän"-Parametern deutlich wird). Schon deshalb verbietet sich eine schematische Herangehensweise.

Der Kapitalismus überwand die Grenzen und Stockungen, auf die er im Laufe seiner Entwicklung stieß, in der Regel durch räumliche und zeitliche Verlagerung. Im Fall von ökologischen Hindernissen bedeutete dies konkret, anderswo neue oder alternative natürliche Senken und Quellen zu erschließen. Damit ging historisch eine räumliche Ausdehnung und die Integration immer größerer Stoff- und Energieströme einher. (Die Abkopplung bestimmter verheerter Regionen ist ein weiterer, allerdings viel seltenerer Aspekt.)

Im Fall der Klimakrise ist eine Verlagerung aber (voraussichtlich) nicht möglich. Jedenfalls gibt es dafür bisher keine plausiblen Ansätze. Diese Krise ist das Ergebnis der akkumulierten Treibhausgase der Vergangenheit: Die Externalitäten von früher werden zu einem Problem der Gegenwart. Aber der Kapitalismus als Weltsystem muss gleichzeitig Wachstum generieren – gesamtgesellschaftlich, nicht nur in einer bestimmten Branche – und die ökologische Krise kontrollieren. Stattdessen verteuern sich gegenwärtig Nahrung und bestimmte Rohstoffe und Vorprodukte auf dem Weltmarkt, absehbar auch Energie und Arbeit.

Handelt es sich bei der Stratosphäre als Senke für unsere Treibhausgase um eine überwindbare Schranke oder um eine unüberwindliche Grenze der kapitalistischen Entwicklung? Das muss sich erst noch herausstellen.

Ob der Kapitalismus zusammenbrechen und wie dieser Prozess aussehen wird, welche gesellschaftlichen Formen ihn ersetzen, ist gegenwärtig "nicht seriös prognostizierbar". Allgemein gesprochen hängt dies ab von Anpassungspotentialen aufsehr unterschiedlichen Ebenen. Es geht darum, inwiefern das Kapital notwendige "Produktionsbedingungen" (James O'Connor) aufrechterhalten oder bisherige ersetzen kann, wie die Arbeitskraft sich reproduzieren kann und welche "politischen Formen" Herrschaft annehmen wird. Belastungsgrenzen des Erdsystems (Rockström) sind erreicht, aber die Folgen sind natürlich sozial und politisch vermittelt. Die Vermittlung der ganz unterschiedlichen Ebenen macht Vorhersagen schwer, zumal sie allesamt interdependent sind. Ist es ein Problem fürs Kapital, wenn es keinen Dorsch mehr aus der Nordsee gibt? Sind Hitzesommer in den Städten ein Problem? Steigende Lebensmittelpreise oder Stromkosten? Die kommende Agrarkrise und die zu erwartenden Migrationsströme? Schwer zu sagen. Das kommt eben darauf an, wie die verschiedenen Klassen und Nationen auf solche Phänomene technisch, sozial und politisch reagieren werden.

Immerhin lässt sich ausschließen, dass ein "grüner Kapitalismus" (= Kapitalakkumulation durch Umweltschutz) eine neue Prosperitätsphase herbeiführen kann, in der die Metropolen-Staaten und vielleicht sogar Teile der Peripherie mitgenommen werden. Für ein "ökokapitalistisches Wachstumsmodell" gibt es bisher keine Anzeichen. Im Gegenteil, voraussichtlich wird das Reproduktionsniveau (weniger geschwollen: der Lebensstandard) großer Teile der Weltbevölkerung stagnieren oder sogar zurückgehen, mit unabsehbaren politischen Folgen. Eine sinkende gesellschaftliche Arbeitsteilung und ein "Zivilisationsprozess im Rückwärtsgang" sind langfristig durchaus möglich. Wir erleben gerade, wie verwundbar unsere Infrastrukturen durch Extremwetterlagen sind.

Vielleicht erhalten sich Inseln mit moderner Staatlichkeit und industrieller Produktion eine Weile. Die Vorstellung von "urbanen Inseln im Meer des Chaos", beliebt in und bekannt aus dystopischen Romanen und Filmen, krankt allerdings daran, dass die Produktion und Reproduktion der Bevölkerung in den Metropolen vielfach auf internationalen, oft interkontinentalen Lieferketten beruht. Die Rationalisierung über den Weltmarkt seit den 1970er Jahren hat einen Sperrklinken-Effekt ausgelöst: Den Input wieder zu regionalisieren, ist für Unternehmen in einigen Fällen unmöglich, in anderen verursacht es hohe Kosten. Ein aktuelles Beispiel dafür ist die sogenannte Chipkrise (Halbleiter), wegen der die Automobilproduktion in Deutschland stockt und die unter anderem auf den Wassermangel in Taiwan zurückgeht.

Auf dieser Ebene muss die Frage nach dem Zusammenbruch gestellt werden: konkret und empirisch. Die Möglichkeit des Zusammenbruchs dogmatisch auszuschließen (weil politisch nicht opportun, psychisch unbequem oder was auch immer), scheint mir nicht materialistisch und intellektuell unredlich.

"Dem kollektiven Interesse der Kapitalistenklasse an der Überausbeutung der Natur steht die Notwendigkeit gegenüber, die Reproduktion der Produktionsbedingungen zu gewährleisten" schreibt Christian Stache in seiner Rezension. Damit traut er dem kapitalistische System und der Bourgeoisie zu viel Rationalität zu. Selbst das wohlverstandene Eigeninteresse muss sich erst durchsetzen. Gerade im Fall der Klimakrise stehen dem besonders große Hindernisse entgegen.

Montag, 19. Juli 2021

Fun fact # 49: Mangelernährung

Gar nicht witzig: 2,4 Milliarden Menschen haben nicht genug Nahrung, um jeden Tag satt zu werden. Im letzten Jahr ist die Zahl der Hungernden und ihr Anteil an der Weltbevölkerung gestiegen.

Laut UN waren 9,9 Prozent aller Menschen im vergangenen Jahr unterernährt, verglichen mit 8,4 Prozent im Jahr 2019. Dieser Anstieg wurde durch Krieg, Klimawandel und Wirtschaftskrise ausgelöst.

Montag, 12. Juli 2021

Wie die "Laborunfall-These" mein Wochenende ruinierte

Stammt SARS-Cov-2 aus einem virologischen Labor? Die kurze Antwort lautet: "Nein!" Eine etwas längere habe ich für Telepolis geschrieben, leider ein Epizentrum des Geschwurbels in Deutschland. Der Artikel hat die Form eines Erlebnisberichts. Denn mein mehr oder weniger erfolgreicher Versuch, mich in dieser Frage zu orientieren, taugt als Exempel: Wissenschaftliche Autorität hilft bei manchen Fragen nur bedingt weiter, und die Lagerbildung zwischen "Wissenschaftsleugnern" und "Experten" führt unter Umständen in die Irre.

So jedenfalls ging es mir:

Ich verbringe den Samstag und Sonntag auf dem Sofa liegend, unterbrochen von kurzen Abstechern in die Küche und ins Bad. Ich suche und lese so lange, bis ich ausreichend Belege für meine ursprüngliche Überzeugung gefunden habe: Die kognitive Dissonanz wird bereinigt. Im Internet geht das, dennoch bleibt ein ungutes Gefühl zurück.

Je länger ich das Internet durchsuche, umso häufiger fällt mir auf, dass Daten und Namen sich unterscheiden. Wie bei der Replikation eines Virus nimmt die Zahl der Mutationen der Fakten mit der Zeit zu, durch Abschreiben, Ergänzen und Weglassen. Dabei unterscheiden sich etablierte und alternative Medien kaum.Je länger ich das Internet durchsuche, umso häufiger fällt mir auf, dass Daten und Namen sich unterscheiden. Wie bei der Replikation eines Virus nimmt die Zahl der Mutationen der Fakten mit der Zeit zu, durch Abschreiben, Ergänzen und Weglassen. Dabei unterscheiden sich etablierte und alternative Medien kaum.

Überhaupt ähneln sich beide Seiten in dieser Kontroverse mehr, als ihnen lieb sein dürfte. Sie reklamieren die Rationalität für sich, die sogenannte Wissenschaftlichkeit, Skepsis und Methode, Quantifizierung. Aber sie berichten nur, was zur jeweiligen Ausgangshypothese passt und argumentieren tendenziös. "Seht, ich habe Ockhams Rasiermesser!", schreiben die einen. "Nein, ich!", antworten die anderen. "Das ist doch nur eine Klobürste."

Während ein Twitter-Rudel unter dem Hashtag DRASTIC eifrig und ziemlich wahllos angebliche Indizien für einen Laborunfall zusammenträgt, betreibt die Mainstream-Presse einen "Nanny-Journalismus": in einfacher Sprache, begütigend und beruhigend, aber sachlich immer wieder falsch. Journalisten und Wissenschaftler filtern Informationen aus, die ihnen geeignet scheinen, die Masse auf dumme Gedanken zu bringen. Das penetrante Mantra der Verschwörungstheoretiker "Wem nützt es?" - letztlich das einzige Wahrheitskriterium, das sie kennen - wird zum Maßstab der Berichterstattung.

Montags ist dann der vorherige Zustand wieder erreicht - "Die Laborunfall-These ist höchstwahrscheinlich falsch!" - aber mein Vertrauen in die biologische Fachwelt hat gelitten.

Mein Fazit: Wir müssen eine eigene Haltung entwickeln, auch bei wissenschaftlich äußerst komplexen Fragen. Wir können uns niemandem anvertrauen.
Ohne inhaltliche Auseinandersetzung bleibt nur die Mehrheitsmeinung und der allgemeine wissenschaftliche Konsens, die bewährte Hierarchie und der intellektuelle Konformismus. Das sind schlechte Ratgeber. Oder aber, auf der Gegenseite, der Verweis auf die vermuteten Interessen eines Diskutanten - ebenfalls wenig hilfreich.

Weil wir nicht alle zu Universalgelehrten werden können, brauchen wir eine Wissenschaft, die möglichst unabhängig von staatlichen und kommerziellen Interessen agiert. Die glaubwürdig ist, weil nachvollziehbar nützlich. Sich "der Wissenschaft" anzuvertrauen, kann jedenfalls nicht die Lösung sein, wenn es hart auf hart kommt. Aufklärung ist ein kollektiver Prozess, zu dem alle individuell beitragen müssen. Im gegenwärtigen Nebel der Desinformation und in einem Klima der Feindbestimmung ist das ein mühseliges und zeitraubendes Geschäft.

Montag, 28. Juni 2021

Der Deutschlandfunk berichtet (vorsichtig)

Eben in den Nachrichten höre ich, dass das eingestürzte Gebäude in Surfside / Florida wohl Schäden am tragenden Beton hatte.
Ob ein Zusammenhang bestehen könnte, ist noch unklar.
Ein Hoch auf den seriösen öffentlich-rechtlichen Rundfunk! Andere spekulieren wild drauf los, er klärt erst einmal sorgfälig und unaufgeregt, ob ein solcher Zusammenhang überhaupt prinzipiell möglich wäre.

Sonntag, 27. Juni 2021

Der sogenannte effiziente Markt

Ein englischer Whistleblower von Amazon hat bestätigt, was seit langem ein offenes Geheimnis ist: Um Lagerkosten zu sparen vernichtet der Konzern in großem Umfang neue funktionsfähige Ware. In der Woche seien es etwa 130 000 Artikel, die zerstört würden: Ventilatoren, Staubsauger, Macbooks und iPads, Corona-Masken, Lebensmittel ... 

Ein extremes Beispiel für einen Grundzug unseres Wirtschaftssystems: Der mögliche Nutzen von Waren ist den Unternehmen gleichgültig, sofern er nicht Umsatz und Gewinn steigert. Diese strukturelle Ignoranz ist nicht nur ethisch, sondern auch ökologisch problematisch. In meinem Buch Klima - Chaos - Kapital liste ich eine Reihe von Beispielen auf:

Täglich sind Lobeshymnen auf die Weisheit, Flexibilität und Kreativität von Märkten zu hören. Aber in kapitalistischen Märkten ist Verschwendung rational und effizient. Kleidung, Waschmaschinen, Kühlschränke, Küchengeräte, Computer und Unterhaltungselektronik werden immer kürzer genutzt. Gebrauchsgegenstände werden so gestaltet, dass sie nach einer gewissen Zeit unbrauchbar werden und sich nicht reparieren lassen. Verschleißteile können nicht ausgetauscht werden, zum Beispiel die Akkus von Mobiltelefonen.

Die Digitaltechnik hat die Möglichkeiten zu dieser Gebrauchswertverhinderung noch vergrößert. Geräte können nicht mehr benutzt werden, nur weil die Steuerungsprogramme nicht aktualisiert werden. US-amerikanische Bäuer*innen zahlen Höchstpreise für alte Traktoren ohne digitale Steuerung, weil sie diese Fahrzeuge noch selbst reparieren können.

Lassen sich Pandemien vermeiden?

Ein neuer Artikel für die Schweizer Wochenzeitung über die gestiegene Dynamik bei den Zoonosen und das verwickelte Verhältnis von Spillover und Biodiversität.
Zoonosen haben auch ökologische Ursachen – aber was fangen wir an mit dieser Erkenntnis? Die Biologen Serge Morand und Raphaël Arlettaz betonen, man müsse „bei der Quelle des Problems ansetzen“. Die staatliche Reaktion auf die Covid-19-Pandemie besteht bisher allerdings in Vorbereitungen für den Krisenfall. „Wir erleben eine beginnende Ära der Pandemien“, sagte die Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen im Februar der Financial Times. „Die Epidemien der vergangenen Jahre, von HIV über Ebola über MERS bis zu SARS, diese Entwicklung wird anhalten.“ Daher wolle die Kommission sicherstellen, dass Europa künftig für den Ernstfall gewappnet sei – mit ausreichend Schutzanzügen, Masken, Medikamenten und Impfstoffen.

Warum die Regierungen den Schuss nicht hören können

Für das Neue Deutschland habe ich einen Leitartikel über das neue Klimaschutzgesetz geschrieben, das am Donnerstag verabschiedet wurde.
Trotz der dramatischen Folgen der Klimakrise führt die Regierung die alte Politik fort. Von wenigen »ordnungspolitischen« Ausnahmen abgesehen - das bedeutet gesetzliche Verbote, Vorschriften und Mengenvorgaben - setzt sie weiter auf »marktwirtschaftliche Instrumente«, auf »Emissionshandel«, »Ökosteuern« und »Technologieneutralität«. Der Markt soll uns aus der Klimakrise führen.

... Kein Land will sich einen Standortnachteil einhandeln, indem es die Energie- und Produktionskosten erhöht. Aufgrund der weltweiten industriellen Überkapazitäten ist die Gefahr einer Verlagerung »schmutziger« Produktion ins Ausland real. Überwinden könnte dieses Dilemma nur ein weltweites Emissionshandelssystem. Von einem koordinierten Vorgehen sind die großen Wirtschaftsmächte aber weit entfernt.

Im Mai schlug Finanzminister Olaf Scholz vor, einen internationalen »Klimaclub« zu bilden, »um klimapolitische Vorreiter vor Nachteilen im internationalen Wettbewerb« zu schützen. Dieser Club solle Regeln für CO2-Bilanzierungen und -Zölle vereinbaren. Dabei dachte Scholz vor allem an die Branchen Zement, Metall, Chemie und Düngemittel: Auch deutsche Exporte würden leiden, wenn andere Nationen ernst machen mit den CO2-Steuern. Doch die USA ließen den deutschen Vorstoß ins Leere laufen. Angesichts der Spannungen mit China ist ein abgestimmtes Vorgehen der Weltmächte nicht zu erwarten, und die Schwellen- und ärmsten Ländern werden erst gar nicht gefragt.

Unvernünftig sind immer die anderen

Wer sind die Querdenker und was wollen sie? Bis heute tun wir uns schwer damit, die Bewegung einzuordnen. Der Journalist und profilierte Rechtsextremismus-Experte Andreas Speit versucht es in seinem neuen Buch „Verqueres Denken“. Ich habe es für die Sendung „Andruck“ beim Deutschlandfunk besprochen.
Andreas Speit verortet die Querdenken-Bewegung in der Tradition der Lebensreform. Diese politische und kulturelle Strömung wendet sich gegen Modernisierung, Rationalisierung und die Entfremdung, die mit ihnen einhergeht. Die Lebensreformerinnen versuchen sie zu überwinden durch einen anderen Umgang mit der natürlichen Umwelt und ihrem eigenen Körper und Seelenleben.
Der Autor zeigt, wie wichtig alternativ-medizinische, impfkritische und esoterische Motive für die Bewegung waren. Leider geht er auf die Eigenheiten und Widersprüche dieser „Lebensreform 2.0“ nicht ein. Inwiefern ist dieses Denken überhaupt alternativ, was unterscheidet es von den gängigen Auffassungen? Unter dem Schlagwort „Irrationalismus“ zwingt der Autor darüber hinaus Klimaschützer, Tierrechtler und Homöopathen zusammen. Aber weil er die inhaltliche Konfrontation vermeidet, führt der Appell, doch bitte vernünftig zu sein, nicht besonders weit. Unvernünftig sind bekanntlich immer die anderen. Es bleibt der intellektuelle Konformismus, die Mehrheitsmeinung und der wissenschaftliche Konsens, die bewährte Hierarchie - allesamt schlechte Ratgeber.

Speits prinzipielle Kritik ist wohlgemerkt völlig berechtigt: Die anfangs eher spontane und diffuse Bewegung gegen die Maßnahmen wegen der Pandemie entwickelte sich immer stärker und immer eindeutiger nach rechts. Sie verbündete sich schließlich mit faschistischen und antisemitischen Gruppen.

Interessant sind Speits Beobachtungen zur politischen Emotion, sozusagen zum Eros der Bewegung. Das verquere Denken speist sich aus Angst. Obwohl die Querdenker dem Staat vorwerfen, er schüchtere die Bevölkerung ein mit übertriebenen Katastrophenszenarien, um unpopuläre Maßnahmen durchzusetzen, er betreibe also „Angstpolitik“ – ein nicht ganz unberechtigter Vorwurf –, setzt die Bewegung selbst propagandistisch auf Verängstigung, mit teils grotesken Warnungen vor geheimen Machenschaften fremder Mächten, einer totalitären „Gesundheitsdiktatur“ oder eben auch den üblen Gefahren, die von Atemschutzmasken ausgehen.

Diese Bewegungen werden nicht nur von Verunsicherung motiviert, sie nutzen Verunsicherung als Strategie. Auch die selbsternannten Rebellen mobilisieren Unterstützung, indem sie verängstigen und wieder beruhigen und abermals verängstigen. Die Gefühlspolitik dieser Bewegung verspricht, gemeinsam die Angst zu überwinden. Dazu gehören insbesondere alternative Formen, um die eigene Gesundheit zu schützen (was umso wichtiger ist, als sich nur wenige ein eigenes Beatmungsgerät und Intensiv-Pfleger leisen können). Leider müssen zu diesem Zweck bestimmte unbequeme Tatsachen ausgeblendet werden.

Verqueres Denken, scheint mir, ist dadurch gekennzeichnet, dass unbequeme Tatsachen abgeblockt und geleugnet werden, vielleicht: geleugnet werden müssen. Zu diesem Zweck betreiben die Propagandisten mehr oder weniger großen intellektuellen Aufwand. Es handelt sich um eine Reaktion auf eine Krise, deren Ursachen aber ganz unterschiedlich aufgefasst werden. In diesem Feld wird die entscheidende Auseinandersetzung stattfinden: Welche Ursachen hat unser Elend? Was eigentlich ist unser Problem?

Die reaktionärste aller Antworten darauf lautet, es seien eben die falschen Leute an der Macht.

Freitag, 28. Mai 2021

Mittwoch, 26. Mai 2021

Was mir die Hoffnung raubt

Zur Hölle mit der E-Mobilität, dem CO2-Gefasel und dem ideologischen Weltverbesserer-Quatsch!
So äußerte sich Dirk Spaniel, der - Festhalten, bitte! - Obmann der AfD im Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur im Bundestag. Aber damit kann ich umgehen. Spaniel kommt aus der Automobilindustrie, er gehörte zum rechtsextremen "Flügel" innerhalb der Partei. Von ihm erwarte ich keine konstruktiven Lösungen.

Was mir die Hoffnung raubt, ist so etwas:

SENS4BEE - Dem Bienensterben mit energieautarken Sensoren auf der Spur

Bienen liefern uns Menschen nicht nur Honig, sondern sind dank der Bestäubung von Kräutern, Sträuchern und Bäumen maßgeblich für den Artenerhalt verantwortlich. Dadurch erwirtschaften sie in Deutschland circa 1,6 Milliarden Euro für die Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion.

Um Honigbienen unter die Flügel zu greifen und das Umwelt- und Landwirtschafts-Monitoring sowie die Forschung zur Bienengesundheit voranzutreiben, sollen sie im Rahmen eines Forschungsprojekts nun mit miniaturisierten, integrierten Sensorsystemen ausgestattet werden.

Oder so etwas:
Verbundprojekt „zUCKERrübe“ erforscht autonome, umweltfreundliche Anbauverfahren

... „Das IHP wird sich in dem Projekt der Entwicklung einer KI-basierten Bildanalyse auf ressourcenarmen Hardware-Plattformen zur Bestimmung des Unkrautbefalls und zur relativen Ortung des Hackroboters widmen. Dazu werden wir unterschiedliche Hardware-Beschleuniger entwickeln, damit Drohnen trotz ihrer kleinen Rechenkapazität zukünftig in der Lage sind, KI-Algorithmen zur Bildanalyse anzuwenden. Damit können Hackroboter und Drohnen auch in Gebieten mit schlechtem Mobilfunkempfang eingesetzt werden, weil die Unkrauterkennung auf Drohnen und nicht auf Cloudservern erfolgt ...“

So lange die Vorschläge für die Lösung der Klimakrise vom Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration oder dem Leibniz-Institut für innovative Mikroelektronik kommen, müssen wir den Planeten abschreiben, fürchte ich.

Samstag, 22. Mai 2021

Montag, 17. Mai 2021

Vorwärts zur Klimaneutralität! (mit fiktiven Technologien)

Die Hälfte der Emissionssenkungen bis 2050 oder 2045 wird von Technologien kommen, über die wir heute noch nicht verfügen.
Meint John Kerry, der Klimabeauftragte der neuen US-Regierung. Das Zitat macht klar, wie viel – in diesem Fall: wie verschwindend wenig – von der neuen amerikanischen Klimadiplomatie zu erwarten ist. Denn es gibt bisher keine technischen Lösungen, mit denen sich die Menge der Treibhausgase so sehr senken ließe, um die Klimakrise aufzuhalten oder wenigstens zu entschärfen. Und selbst wenn heute Nachmittag ein genialer wissenschaftlicher Durchbruch gelänge, würde es dennoch viel zu lange dauern, bis er überall zum Einsatz käme.

Die fiktive „Innovation“ spielt in der Klimapolitik eine verhängnisvolle Rolle: Sie dient als Rechtfertigung fürs Nichtstun, als Ausrede und als Ablenkungsmanöver. Aber nur mit umfassenden Veränderungen in Wirtschaft, Gesellschaft und letztlich unserer Lebensweise können wir die Erderhitzung aufhalten.

Aus Klima Chaos Kapital:

„Innovation statt Verbote!“ lautete ein Wahlkampfslogan der FDP. „Die Fähigkeit der Märkte, Neues zu entdecken, ist notwendiger denn je“, erklärt der Journalist Nikolaus Piper. „Sie sollen zu den Innovationen führen, ohne die eine klimaneutrale Produktion kaum möglich sein wird.“ Das „Klimaschutzprogramm 2030“ der Bundesregierung dient ausdrücklich dazu, „dass Deutschland seine Stellung als innovativer Leitanbieter und Leitmarkt für klimafreundliche Technologien ausbaut und damit ein positiver Impuls für Wachstum und Wohlstand gesetzt wird.“ Der Glaube an die Machbarkeit wächst proportional mit dem Abstand zu den konkreten wissenschaftlichen und technischen Problemen. Er nimmt buchstäblich religiöse Züge an, insofern er Trost und Zuversicht spendet, ohne auf Beweise angewiesen zu sein.

Je stärker sich die Klimakrise im Alltag bemerkbar macht, umso wilder, scheint es, werden die Versprechen. Statt die planetaren Grenzen anzuerkennen, setzen Investoren Hoffnungen auf „Asteroiden-Bergbau“, um im Weltraum Metalle wie Kupfer abzubauen. Als Reaktion auf die Bodenkrise wandert landwirtschaftliche Erzeugung in die Innenräume (Controlled Environment Agriculture). Wie ein deus ex machina soll sie die Probleme lösen. Aber es rettet uns kein höheres Wesen namens Technologie.

Samstag, 15. Mai 2021

Nehmen die Zoonosen langfristig zu - und warum?

Covid-19 hatte auch ökologische Ursachen: Klimawandel, Artenschwund und Landübernutzung. Diese Faktoren begünstigen, dass mehr Krankheitserreger von Tieren auf Menschen übergehen, während gleichzeitig weltumspannende Lieferketten, Tourismus und Migration ihre Verbreitung fördern.
Ein neuer Artikel von mir zum Thema ist heute bei Telepolis erschienen. Der zweite Teil beschäftigt sich mit den Lehren aus der CoV-19-Pandemie.
One Health bedeutet in der Praxis wenig, vergleichbar mit Floskeln wie "Nachhaltigkeit" oder "Sicherheit". Mit einer Handvoll neuer Naturschutzgebiete oder Grünstreifen zwischen den Feldern lässt sich die Zoonosen-Gefahr jedenfalls nicht entschärfen. Im sogenannten Anthropozän richtet die Menschheit die biologischen und ökologischen Kreisläufe umfassend auf ihre Bedürfnisse aus. Die evolutionäre Dynamik der (scheinbar) überflüssigen, (scheinbar) unwichtigen Gattungen kommt ihr dabei in die Quere.

Die Zoonosen sind natürlich nicht "die Rache der Natur", wie zu Beginn der Covid-19-Pandemie gelegentlich zu lesen war. Krankheitserreger verbreiten sich ohne Plan und ohne Ziel, überall, wo sie Räume finden. Aber Zoonosen sind doch ein Bestandteil der gegenwärtigen vielfältigen ökologischen Krise. Wenn ökologische Räume zerstört werden und Säugetiere und Insekten aussterben, dann fallen auch Glieder in Nahrungsketten und Ökosystemleistungen aus. Die Menschheit dezimiert die Tiergemeinschaften und destabilisiert die Systeme aus Mikroorganismen und Säugetieren, so wie jemand, der ein Uhrwerk auseinandernimmt und dann wieder zusammenbaut. Ein paar Teile bleiben übrig und die Zeiger stehen still.

Freitag, 30. April 2021

Peter Altmaier schützt die Freiheit (egal, was das Bundesverfassungsgericht sagt)

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden – ich paraphrasiere mal, in einfacher Sprache –, dass die Regierung nicht nur sagen kann, sie würde die Menge der Treibhausgase senken, sondern die Menge der Treibhausgase auch wirklich senken muss.

Im ZDF-Interview erklärt Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, das Urteil sei ganz toll, und er werde deswegen so weiter machen wie bisher. Dabei hat gerade er beim Verwässern und Bremsen der neuen Klimagesetze eine wichtige Rolle gespielt. Aufgrund seiner Initiative wird nun die deutsche energieintensive Industrie abermals entlastet, damit ausländische Konkurrenten keinen Vorteil haben (Carbon Leakage). Oder, in einfacher Sprache: Peter Altmaier sagt, Treibhausgase sollen Geld kosten, damit die Leute weniger davon machen. Aber die deutsche Industrie sollen Treibhausgase nichts kosten, sagt Peter Altmaier. Nur die Verbraucher sollen die Treibhausgase etwas kosten.

Ein Auszug aus Klima Chaos Kapital:

Im Herbst 2020 überraschte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier mit einem „historischen Kompromissvorschlag“ (so die Pressemeldung). „Spätestens 2050“ sollen in Deutschland keine Treibhausgase mehr ausgestoßen werden, die über die Klimaneutralität hinausgehen. Allerdings müssten wir dieses Ziel unbedingt mit „marktwirtschaftlichen Mechanismen“ erreichen. Nach Altmaiers Vorstellungen unterzeichnen Bundesländer, Kommunen, Unternehmen und Verbände eine Charta, die sowohl eine „Klimagarantie“, als auch eine „Wirtschaftsgarantie“ enthält. Damit verpflichten sie sich, „die notwendigen und geeigneten Maßnahmen zur Erreichung der Klimaziele und zur Erhaltung der Wirtschaftskraft zügig zu ergreifen und umzusetzen“.

„Die Wirtschaft“, das scheint ein zartes Pflänzchen zu sein, ebenso schutzbedürftig wie das Klima. Geradezu ungerecht: Viele bekommen wegen der armen Eisbären feuchte Augen, aber weint jemand, weil die Unternehmen schwer an ihrer „Steuerlast“ tragen? Manchen droht sogar das Aussterben!

Seinen Vorstoß begründete der Bundeswirtschaftsministers so: „Wirtschaft und Klimaschützer müssen erkennen, dass sie nur gemeinsam gewinnen können.“ Das Manöver steht mustergültig für die Umweltpolitik der vergangenen Jahrzehnte: „ambitionierte Ziele“, große Worte, starke Symbole – die Charta enthält keine konkreten Verpflichtungen –, aber keine staatlichen Vorschriften oder Auflagen für die Unternehmen, die ihre Kosten erhöhen würden.

...

National wie international versuchen die Regierungen weiterhin, ihre Tatenlosigkeit mit großartigen Versprechen und „ehrgeizigen Zielen“ zu überspielen: Ankündigen – antäuschen – weiter machen wie bisher. Und dann noch mal von vorne. Sie setzen auf Täuschungsversuche und Ablenkungsmanöver.

Mittwoch, 28. April 2021

Fun fact # 48: Energiewende

Die fleischverarbeitende Industrie ist, weil besonders energieintensiv, von der Umlage entsprechend des Erneuerbare Energie - Gesetzes befreit. Diese Subventionierung beläuft sich laut Bundesregierung auf mindestens 292 Millionen Euro seit dem Jahr 2010.

Freitag, 23. April 2021

Nein, Joe Biden wird das Klima nicht retten. (Auch nicht, wenn Annalena Baerbock ihm dabei hilft.)

50 Prozent weniger Kohlendioxid-Ausstoß bis zum Jahr 2030, verspricht die US-Regierung! Die Europäische Union kündigt eine Reduktion von 55 Prozent an, Großbritannien sogar von 78 Prozent, allerdings brauchen die Briten dafür fünf Jahre länger.

Wird jetzt alles gut? Diese neuen Versprechen sind das Papier nicht wert, auf das sie gedruckt werden. Die Weltmächte setzen weiter auf die altbewährte Taktik, ihre praktische Untätigkeit mit "ambitionierten Zielen" zu überspielen. Aber die größte Gefahr in der Klimakrise ist bekanntlich nicht die Ignoranz der Regierungen, sondern die Illusion, diese seien willens oder fähig, die Klimakrise zu beherrschen. "Systemwandel statt Klimawandel" – gerne und laut gerufen, aber was heißt das eigentlich? Die Posse, die Regierungslenker aus aller Welt in regelmäßigen Abständen wieder aufführen, gehört zum Problem, nicht zu seiner Lösung.

Seit gestern ist mein neues Buch „Klima, Chaos, Kapital“ in allen guten Buchhandlungen oder direkt beim Verlag erhältlich. Ich beschreibe die Klimakrise als gleichzeitig wirtschaftlich, gesellschaftlich und ökologisch. Der Raubbau an den natürlichen Ressourcen und die Schädigung der Atmosphäre sind untrennbar verwoben mit der weltweiten sozialen Ungleichheit, mit Macht und Ohnmacht, Reichtum und Armut. Ich zeichne nach, wie sich der Kapitalismus in eine Sackgasse manövriert hat, welche Maßnahmen eigentlich notwendig wären, um die Klimakrise zu entschärfen, und welche Hindernisse ihnen entgegen stehen.

In den nächsten Wochen werde ich immer mal wieder kurze Auszüge daraus veröffentlichen. An Anlässen wird es nicht mangeln, fürchte ich ...

Dienstag, 6. April 2021

Freitag, 2. April 2021

Dienstag, 30. März 2021

Über die historischen Wurzeln des Neoliberalismus

Gestern brachte die DLF-Sendung >Andruck< meine Besprechung von Thomas Biebrichers "Politische Theorie des Neoliberalismus".

Samstag, 6. März 2021

Montag, 1. März 2021

Fun fact # 47: Polizeireform

In den 1960er Jahren wurden in den USA vier von fünf Tötungsdelikte polizeilich aufgeklärt. Heute sind es nur noch drei von fünf. Derzeit sind rund 250 000 dieser Delikte nicht geklärt.

Mittwoch, 17. Februar 2021

Fun fact # 46: Gesundheitsschutz

Die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Gesundheitsdienst ist zwischem dem Jahr 2000 und 2014 von 39 000 auf 29 000 gesunken. Die Zahl der Amtsärzte ist seitdem weiter gefallen. Über die Anzahl der nicht-ärztlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter existieren keine bundesweiten Zahlen.

Montag, 18. Januar 2021