Sonntag, 27. Juni 2021

Unvernünftig sind immer die anderen

Wer sind die Querdenker und was wollen sie? Bis heute tun wir uns schwer damit, die Bewegung einzuordnen. Der Journalist und profilierte Rechtsextremismus-Experte Andreas Speit versucht es in seinem neuen Buch „Verqueres Denken“. Ich habe es für die Sendung „Andruck“ beim Deutschlandfunk besprochen.
Andreas Speit verortet die Querdenken-Bewegung in der Tradition der Lebensreform. Diese politische und kulturelle Strömung wendet sich gegen Modernisierung, Rationalisierung und die Entfremdung, die mit ihnen einhergeht. Die Lebensreformerinnen versuchen sie zu überwinden durch einen anderen Umgang mit der natürlichen Umwelt und ihrem eigenen Körper und Seelenleben.
Der Autor zeigt, wie wichtig alternativ-medizinische, impfkritische und esoterische Motive für die Bewegung waren. Leider geht er auf die Eigenheiten und Widersprüche dieser „Lebensreform 2.0“ nicht ein. Inwiefern ist dieses Denken überhaupt alternativ, was unterscheidet es von den gängigen Auffassungen? Unter dem Schlagwort „Irrationalismus“ zwingt der Autor darüber hinaus Klimaschützer, Tierrechtler und Homöopathen zusammen. Aber weil er die inhaltliche Konfrontation vermeidet, führt der Appell, doch bitte vernünftig zu sein, nicht besonders weit. Unvernünftig sind bekanntlich immer die anderen. Es bleibt der intellektuelle Konformismus, die Mehrheitsmeinung und der wissenschaftliche Konsens, die bewährte Hierarchie - allesamt schlechte Ratgeber.

Speits prinzipielle Kritik ist wohlgemerkt völlig berechtigt: Die anfangs eher spontane und diffuse Bewegung gegen die Maßnahmen wegen der Pandemie entwickelte sich immer stärker und immer eindeutiger nach rechts. Sie verbündete sich schließlich mit faschistischen und antisemitischen Gruppen.

Interessant sind Speits Beobachtungen zur politischen Emotion, sozusagen zum Eros der Bewegung. Das verquere Denken speist sich aus Angst. Obwohl die Querdenker dem Staat vorwerfen, er schüchtere die Bevölkerung ein mit übertriebenen Katastrophenszenarien, um unpopuläre Maßnahmen durchzusetzen, er betreibe also „Angstpolitik“ – ein nicht ganz unberechtigter Vorwurf –, setzt die Bewegung selbst propagandistisch auf Verängstigung, mit teils grotesken Warnungen vor geheimen Machenschaften fremder Mächten, einer totalitären „Gesundheitsdiktatur“ oder eben auch den üblen Gefahren, die von Atemschutzmasken ausgehen.

Diese Bewegungen werden nicht nur von Verunsicherung motiviert, sie nutzen Verunsicherung als Strategie. Auch die selbsternannten Rebellen mobilisieren Unterstützung, indem sie verängstigen und wieder beruhigen und abermals verängstigen. Die Gefühlspolitik dieser Bewegung verspricht, gemeinsam die Angst zu überwinden. Dazu gehören insbesondere alternative Formen, um die eigene Gesundheit zu schützen (was umso wichtiger ist, als sich nur wenige ein eigenes Beatmungsgerät und Intensiv-Pfleger leisen können). Leider müssen zu diesem Zweck bestimmte unbequeme Tatsachen ausgeblendet werden.

Verqueres Denken, scheint mir, ist dadurch gekennzeichnet, dass unbequeme Tatsachen abgeblockt und geleugnet werden, vielleicht: geleugnet werden müssen. Zu diesem Zweck betreiben die Propagandisten mehr oder weniger großen intellektuellen Aufwand. Es handelt sich um eine Reaktion auf eine Krise, deren Ursachen aber ganz unterschiedlich aufgefasst werden. In diesem Feld wird die entscheidende Auseinandersetzung stattfinden: Welche Ursachen hat unser Elend? Was eigentlich ist unser Problem?

Die reaktionärste aller Antworten darauf lautet, es seien eben die falschen Leute an der Macht.