Dienstag, 31. August 2021

Sonntag, 22. August 2021

Klima Chaos Kapital
Wann bricht der Kapitalismus zusammen?

Beliebte "postapokalyptische" Ikonographe mit tröstlicher Botschaft: Das Leben geht weiter. 

Über mein Buch "Klima Chaos Kapital" ist eine lobende Besprechung in der Junge Welt erschienen. Das freut mich besonders, weil der Rezensent Christian Stache ein ausgewiesener Kenner der marxistisch-ökologischen Debatte ist. Kritisch merkt er allerdings meine "Wiederbelebung der Zusammenbruchstheorie" an:

Becker behauptet etwa: »Wir steuern auf einen chaotischen Zusammenbruch zu.« Dies begründet er unter anderem mit guten Argumenten gegen die verschiedenen Formen eines »grünen« Kapitalismus als potentiellem neuen Akkumulationsregime. Allerdings nimmt er dabei, politisch verständlich, das Adjektiv ernst. Nachhaltig wird der Kapitalismus tatsächlich nicht. Aber dem kollektiven Interesse der Kapitalistenklasse an der Überausbeutung der Natur steht die Notwendigkeit gegenüber, die Reproduktion der Produktionsbedingungen zu gewährleisten. Dass ein solcher "Kompromiss" zwischen Kapital und Natur ein neues Wachstumsmodell begründen könnte, ist zumindest nicht auszuschließen.
Wie sieht es aus mit der Kompromissfähigkeit des Kapitals? Ein paar kurze Bemerkungen:

Zunächst, "Zusammenbruch" ist ein großes und missverständliches Wort. An einer Stelle im Buch spreche ich, vielleicht etwas präziser, von einem mittel- bis langfristigen Niedergang: „Die kapitalistische Entwicklung wird nicht an eine Grenze stoßen wie ein Auto gegen eine Mauer prallt." Aber die Klimakrise könnte (verstanden als sozial-ökonomisch-ökologisches Phänomen, nicht nur als steigende Temperaturen!) die Fahrgeschwindigkeit immer weiter senken, um im Bild zu bleiben, sozusagen wie ein Getriebeschaden der Akkumulation wirken.

Verlaufsformen des Zusammenbruchs, aus einer aktuellen Studie

Bei der Recherche für das Buch wurde mir klar, wie bedeutend seit den 1980er Jahren die relative Steigerung der Mehrwertrate durch Globalisierung und Verbilligung (Nahrung, Energie, Migration, Arbeit) für die Stabilität des Weltsystems war. Die Prosperität in dieser Phase wäre ohne sie nicht möglich gewesen. Dass die industrielle Rationalisierung auch die Arbeitskraft verbilligt, ist natürlich nichts Neues. In den Jahrzehnten nach der Öl- und Währungskrise 1973 war diese Verbilligung aber besonders wichtig, weil neue Basisinnovationen ausblieben und keine Leitsektoren entstanden, die eine vergleichbare Rolle wie die Innovationen in der Phase davor spielen konnten. Die Automobilindustrie und der petrochemische Komplex insgesamt wurden nicht abgelöst. Der Raubbau (insbesondere in der Landwirtschaft) wurde zu einem wesentlichen Treiber der Akkumulation. Überhaupt gibt es in Hinblick auf die Herstellungsverfahren und Rationalisierungsstrategien keine unterscheidbare "fordistische" und "postfordistische Phase".

Die Strategien der Verbilligung stoßen nun auf soziale, ökologische und ökonomische Widerstände. Die gegenwärtige ökologische Krise ist global in dem Sinn, dass grundlegende Kreisläufe des Erdsystems entgleiten. Wir befinden uns in einer ganz neuen historischen Situation (bekanntlich auch naturgeschichtlich, was zum Beispiel an der Treibhausgas-Konzentration und anderen "Anthropozän"-Parametern deutlich wird). Schon deshalb verbietet sich eine schematische Herangehensweise.

Der Kapitalismus überwand die Grenzen und Stockungen, auf die er im Laufe seiner Entwicklung stieß, in der Regel durch räumliche und zeitliche Verlagerung. Im Fall von ökologischen Hindernissen bedeutete dies konkret, anderswo neue oder alternative natürliche Senken und Quellen zu erschließen. Damit ging historisch eine räumliche Ausdehnung und die Integration immer größerer Stoff- und Energieströme einher. (Die Abkopplung bestimmter verheerter Regionen ist ein weiterer, allerdings viel seltenerer Aspekt.)

Im Fall der Klimakrise ist eine Verlagerung aber (voraussichtlich) nicht möglich. Jedenfalls gibt es dafür bisher keine plausiblen Ansätze. Diese Krise ist das Ergebnis der akkumulierten Treibhausgase der Vergangenheit: Die Externalitäten von früher werden zu einem Problem der Gegenwart. Aber der Kapitalismus als Weltsystem muss gleichzeitig Wachstum generieren – gesamtgesellschaftlich, nicht nur in einer bestimmten Branche – und die ökologische Krise kontrollieren. Stattdessen verteuern sich gegenwärtig Nahrung und bestimmte Rohstoffe und Vorprodukte auf dem Weltmarkt, absehbar auch Energie und Arbeit.

Handelt es sich bei der Stratosphäre als Senke für unsere Treibhausgase um eine überwindbare Schranke oder um eine unüberwindliche Grenze der kapitalistischen Entwicklung? Das muss sich erst noch herausstellen.

Ob der Kapitalismus zusammenbrechen und wie dieser Prozess aussehen wird, welche gesellschaftlichen Formen ihn ersetzen, ist gegenwärtig "nicht seriös prognostizierbar". Allgemein gesprochen hängt dies ab von Anpassungspotentialen aufsehr unterschiedlichen Ebenen. Es geht darum, inwiefern das Kapital notwendige "Produktionsbedingungen" (James O'Connor) aufrechterhalten oder bisherige ersetzen kann, wie die Arbeitskraft sich reproduzieren kann und welche "politischen Formen" Herrschaft annehmen wird. Belastungsgrenzen des Erdsystems (Rockström) sind erreicht, aber die Folgen sind natürlich sozial und politisch vermittelt. Die Vermittlung der ganz unterschiedlichen Ebenen macht Vorhersagen schwer, zumal sie allesamt interdependent sind. Ist es ein Problem fürs Kapital, wenn es keinen Dorsch mehr aus der Nordsee gibt? Sind Hitzesommer in den Städten ein Problem? Steigende Lebensmittelpreise oder Stromkosten? Die kommende Agrarkrise und die zu erwartenden Migrationsströme? Schwer zu sagen. Das kommt eben darauf an, wie die verschiedenen Klassen und Nationen auf solche Phänomene technisch, sozial und politisch reagieren werden.

Immerhin lässt sich ausschließen, dass ein "grüner Kapitalismus" (= Kapitalakkumulation durch Umweltschutz) eine neue Prosperitätsphase herbeiführen kann, in der die Metropolen-Staaten und vielleicht sogar Teile der Peripherie mitgenommen werden. Für ein "ökokapitalistisches Wachstumsmodell" gibt es bisher keine Anzeichen. Im Gegenteil, voraussichtlich wird das Reproduktionsniveau (weniger geschwollen: der Lebensstandard) großer Teile der Weltbevölkerung stagnieren oder sogar zurückgehen, mit unabsehbaren politischen Folgen. Eine sinkende gesellschaftliche Arbeitsteilung und ein "Zivilisationsprozess im Rückwärtsgang" sind langfristig durchaus möglich. Wir erleben gerade, wie verwundbar unsere Infrastrukturen durch Extremwetterlagen sind.

Vielleicht erhalten sich Inseln mit moderner Staatlichkeit und industrieller Produktion eine Weile. Die Vorstellung von "urbanen Inseln im Meer des Chaos", beliebt in und bekannt aus dystopischen Romanen und Filmen, krankt allerdings daran, dass die Produktion und Reproduktion der Bevölkerung in den Metropolen vielfach auf internationalen, oft interkontinentalen Lieferketten beruht. Die Rationalisierung über den Weltmarkt seit den 1970er Jahren hat einen Sperrklinken-Effekt ausgelöst: Den Input wieder zu regionalisieren, ist für Unternehmen in einigen Fällen unmöglich, in anderen verursacht es hohe Kosten. Ein aktuelles Beispiel dafür ist die sogenannte Chipkrise (Halbleiter), wegen der die Automobilproduktion in Deutschland stockt und die unter anderem auf den Wassermangel in Taiwan zurückgeht.

Auf dieser Ebene muss die Frage nach dem Zusammenbruch gestellt werden: konkret und empirisch. Die Möglichkeit des Zusammenbruchs dogmatisch auszuschließen (weil politisch nicht opportun, psychisch unbequem oder was auch immer), scheint mir nicht materialistisch und intellektuell unredlich.

"Dem kollektiven Interesse der Kapitalistenklasse an der Überausbeutung der Natur steht die Notwendigkeit gegenüber, die Reproduktion der Produktionsbedingungen zu gewährleisten" schreibt Christian Stache in seiner Rezension. Damit traut er dem kapitalistische System und der Bourgeoisie zu viel Rationalität zu. Selbst das wohlverstandene Eigeninteresse muss sich erst durchsetzen. Gerade im Fall der Klimakrise stehen dem besonders große Hindernisse entgegen.