Montag, 28. Juni 2021

Der Deutschlandfunk berichtet (vorsichtig)

Eben in den Nachrichten höre ich, dass das eingestürzte Gebäude in Surfside / Florida wohl Schäden am tragenden Beton hatte.
Ob ein Zusammenhang bestehen könnte, ist noch unklar.
Ein Hoch auf den seriösen öffentlich-rechtlichen Rundfunk! Andere spekulieren wild drauf los, er klärt erst einmal sorgfälig und unaufgeregt, ob ein solcher Zusammenhang überhaupt prinzipiell möglich wäre.

Sonntag, 27. Juni 2021

Der sogenannte effiziente Markt

Ein englischer Whistleblower von Amazon hat bestätigt, was seit langem ein offenes Geheimnis ist: Um Lagerkosten zu sparen vernichtet der Konzern in großem Umfang neue funktionsfähige Ware. In der Woche seien es etwa 130 000 Artikel, die zerstört würden: Ventilatoren, Staubsauger, Macbooks und iPads, Corona-Masken, Lebensmittel ... 

Ein extremes Beispiel für einen Grundzug unseres Wirtschaftssystems: Der mögliche Nutzen von Waren ist den Unternehmen gleichgültig, sofern er nicht Umsatz und Gewinn steigert. Diese strukturelle Ignoranz ist nicht nur ethisch, sondern auch ökologisch problematisch. In meinem Buch Klima - Chaos - Kapital liste ich eine Reihe von Beispielen auf:

Täglich sind Lobeshymnen auf die Weisheit, Flexibilität und Kreativität von Märkten zu hören. Aber in kapitalistischen Märkten ist Verschwendung rational und effizient. Kleidung, Waschmaschinen, Kühlschränke, Küchengeräte, Computer und Unterhaltungselektronik werden immer kürzer genutzt. Gebrauchsgegenstände werden so gestaltet, dass sie nach einer gewissen Zeit unbrauchbar werden und sich nicht reparieren lassen. Verschleißteile können nicht ausgetauscht werden, zum Beispiel die Akkus von Mobiltelefonen.

Die Digitaltechnik hat die Möglichkeiten zu dieser Gebrauchswertverhinderung noch vergrößert. Geräte können nicht mehr benutzt werden, nur weil die Steuerungsprogramme nicht aktualisiert werden. US-amerikanische Bäuer*innen zahlen Höchstpreise für alte Traktoren ohne digitale Steuerung, weil sie diese Fahrzeuge noch selbst reparieren können.

Lassen sich Pandemien vermeiden?

Ein neuer Artikel für die Schweizer Wochenzeitung über die gestiegene Dynamik bei den Zoonosen und das verwickelte Verhältnis von Spillover und Biodiversität.
Zoonosen haben auch ökologische Ursachen – aber was fangen wir an mit dieser Erkenntnis? Die Biologen Serge Morand und Raphaël Arlettaz betonen, man müsse „bei der Quelle des Problems ansetzen“. Die staatliche Reaktion auf die Covid-19-Pandemie besteht bisher allerdings in Vorbereitungen für den Krisenfall. „Wir erleben eine beginnende Ära der Pandemien“, sagte die Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen im Februar der Financial Times. „Die Epidemien der vergangenen Jahre, von HIV über Ebola über MERS bis zu SARS, diese Entwicklung wird anhalten.“ Daher wolle die Kommission sicherstellen, dass Europa künftig für den Ernstfall gewappnet sei – mit ausreichend Schutzanzügen, Masken, Medikamenten und Impfstoffen.

Warum die Regierungen den Schuss nicht hören können

Für das Neue Deutschland habe ich einen Leitartikel über das neue Klimaschutzgesetz geschrieben, das am Donnerstag verabschiedet wurde.
Trotz der dramatischen Folgen der Klimakrise führt die Regierung die alte Politik fort. Von wenigen »ordnungspolitischen« Ausnahmen abgesehen - das bedeutet gesetzliche Verbote, Vorschriften und Mengenvorgaben - setzt sie weiter auf »marktwirtschaftliche Instrumente«, auf »Emissionshandel«, »Ökosteuern« und »Technologieneutralität«. Der Markt soll uns aus der Klimakrise führen.

... Kein Land will sich einen Standortnachteil einhandeln, indem es die Energie- und Produktionskosten erhöht. Aufgrund der weltweiten industriellen Überkapazitäten ist die Gefahr einer Verlagerung »schmutziger« Produktion ins Ausland real. Überwinden könnte dieses Dilemma nur ein weltweites Emissionshandelssystem. Von einem koordinierten Vorgehen sind die großen Wirtschaftsmächte aber weit entfernt.

Im Mai schlug Finanzminister Olaf Scholz vor, einen internationalen »Klimaclub« zu bilden, »um klimapolitische Vorreiter vor Nachteilen im internationalen Wettbewerb« zu schützen. Dieser Club solle Regeln für CO2-Bilanzierungen und -Zölle vereinbaren. Dabei dachte Scholz vor allem an die Branchen Zement, Metall, Chemie und Düngemittel: Auch deutsche Exporte würden leiden, wenn andere Nationen ernst machen mit den CO2-Steuern. Doch die USA ließen den deutschen Vorstoß ins Leere laufen. Angesichts der Spannungen mit China ist ein abgestimmtes Vorgehen der Weltmächte nicht zu erwarten, und die Schwellen- und ärmsten Ländern werden erst gar nicht gefragt.

Unvernünftig sind immer die anderen

Wer sind die Querdenker und was wollen sie? Bis heute tun wir uns schwer damit, die Bewegung einzuordnen. Der Journalist und profilierte Rechtsextremismus-Experte Andreas Speit versucht es in seinem neuen Buch „Verqueres Denken“. Ich habe es für die Sendung „Andruck“ beim Deutschlandfunk besprochen.
Andreas Speit verortet die Querdenken-Bewegung in der Tradition der Lebensreform. Diese politische und kulturelle Strömung wendet sich gegen Modernisierung, Rationalisierung und die Entfremdung, die mit ihnen einhergeht. Die Lebensreformerinnen versuchen sie zu überwinden durch einen anderen Umgang mit der natürlichen Umwelt und ihrem eigenen Körper und Seelenleben.
Der Autor zeigt, wie wichtig alternativ-medizinische, impfkritische und esoterische Motive für die Bewegung waren. Leider geht er auf die Eigenheiten und Widersprüche dieser „Lebensreform 2.0“ nicht ein. Inwiefern ist dieses Denken überhaupt alternativ, was unterscheidet es von den gängigen Auffassungen? Unter dem Schlagwort „Irrationalismus“ zwingt der Autor darüber hinaus Klimaschützer, Tierrechtler und Homöopathen zusammen. Aber weil er die inhaltliche Konfrontation vermeidet, führt der Appell, doch bitte vernünftig zu sein, nicht besonders weit. Unvernünftig sind bekanntlich immer die anderen. Es bleibt der intellektuelle Konformismus, die Mehrheitsmeinung und der wissenschaftliche Konsens, die bewährte Hierarchie - allesamt schlechte Ratgeber.

Speits prinzipielle Kritik ist wohlgemerkt völlig berechtigt: Die anfangs eher spontane und diffuse Bewegung gegen die Maßnahmen wegen der Pandemie entwickelte sich immer stärker und immer eindeutiger nach rechts. Sie verbündete sich schließlich mit faschistischen und antisemitischen Gruppen.

Interessant sind Speits Beobachtungen zur politischen Emotion, sozusagen zum Eros der Bewegung. Das verquere Denken speist sich aus Angst. Obwohl die Querdenker dem Staat vorwerfen, er schüchtere die Bevölkerung ein mit übertriebenen Katastrophenszenarien, um unpopuläre Maßnahmen durchzusetzen, er betreibe also „Angstpolitik“ – ein nicht ganz unberechtigter Vorwurf –, setzt die Bewegung selbst propagandistisch auf Verängstigung, mit teils grotesken Warnungen vor geheimen Machenschaften fremder Mächten, einer totalitären „Gesundheitsdiktatur“ oder eben auch den üblen Gefahren, die von Atemschutzmasken ausgehen.

Diese Bewegungen werden nicht nur von Verunsicherung motiviert, sie nutzen Verunsicherung als Strategie. Auch die selbsternannten Rebellen mobilisieren Unterstützung, indem sie verängstigen und wieder beruhigen und abermals verängstigen. Die Gefühlspolitik dieser Bewegung verspricht, gemeinsam die Angst zu überwinden. Dazu gehören insbesondere alternative Formen, um die eigene Gesundheit zu schützen (was umso wichtiger ist, als sich nur wenige ein eigenes Beatmungsgerät und Intensiv-Pfleger leisen können). Leider müssen zu diesem Zweck bestimmte unbequeme Tatsachen ausgeblendet werden.

Verqueres Denken, scheint mir, ist dadurch gekennzeichnet, dass unbequeme Tatsachen abgeblockt und geleugnet werden, vielleicht: geleugnet werden müssen. Zu diesem Zweck betreiben die Propagandisten mehr oder weniger großen intellektuellen Aufwand. Es handelt sich um eine Reaktion auf eine Krise, deren Ursachen aber ganz unterschiedlich aufgefasst werden. In diesem Feld wird die entscheidende Auseinandersetzung stattfinden: Welche Ursachen hat unser Elend? Was eigentlich ist unser Problem?

Die reaktionärste aller Antworten darauf lautet, es seien eben die falschen Leute an der Macht.