Donnerstag, 4. Mai 2017

Agrarindustrie 4.0

Sieht so die Zukunft der Landwirtschaft aus? Hoffentlich nicht, denn das würde bedeuten: höherer Kapitaleinsatz, mehr Monokultur (und daher mehr Dünger und Pestizide), Freisetzung von Erntearbeitern (die übrigens gar nicht so schlecht bezahlt werden, jedenfalls im Vergleich zum Dienstleistungssektor).
In meinem neuen Buch schreibe ich zur Digitalisierung der landwirtschaftlichen Produktion:

Mit Hilfe von KI und Robotern bemühen sich Ingenieure und Unternehmen gegenwärtig um die Vollautomation auf dem Acker. Gängige Ausdrücke dafür lauten Precision Farming oder Smart Farming. Gewaltige Mähdrescher mit einer Breite von bis zu 14 Metern lassen sich nicht mehr von Hand steuern, stattdessen werden sie mit GPS halbautomatisch gelenkt. Mit „Farb- und Multispektralkameras sowie weiteren Sensoren“ fliegen derweil Agrardrohnen über die Felder und schaffen ein digitales Abbild der „Verunkrautungssituation“.

Das Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung (Abteilung „Biosystems Engineering“) beispielsweise entwickelt einen Ernteroboter, der statt mit Gammastrahlen mit Hyperspektralkameras den Reifegrad von Blumenkohl/Karfiol bestimmt und so „die selektive Ernte vollautomatisch“ durchführt. Martin Steig, Landwirt und Geschäftsführer eines gleichnamigen Unternehmens, wird in der Pressemitteilung des Instituts folgendermaßen zitiert: „Die Automatisierung ist essenziell für uns Landwirte, denn mit dem Mindestlohn ist die Gemüseernte nicht mehr umsetzbar.“

... Im Gegensatz zu einem populären Vorurteil sind Erntearbeiterinnen nicht unqualifiziert, ganz im Gegenteil. Pflanzen unterscheiden sich in Form und Größe und reifen unregelmäßig. Während ein Salatkopf noch wachsen muss, ist der nächste schon überreif. Geübte Beschäftigte erkennen auf einen Blick oder mit einer kurzen Berührung, welche sie pflücken müssen und welche nicht. Ihre Aufgabe ist ebenso kognitiv wie taktil. Sie gehen mehrmals über die Felder, rupfen das reife Gemüse aus und lassen das unreife für später stehen. Seit vielen Jahrzehnten geht das Bemühen von Technikern dahin, diese Arbeit zu mechanisieren.

... Wer automatisieren will, muss standardisieren. In der Landwirtschaft und Tierzucht bedeutet das, die Pflanzen und Tiere so zu verändern, damit sie zur Maschinerie passen. Dieses Muster lässt sich bereits für die Baumwollplantagen in den amerikanischen Südstaaten im 19. Jahrhundert zeigen. Das Transformationsproblem (die Notwendigkeit der Kontrolle und Lenkung der Beschäftigten) und der Zwang zur Rationalisierung bedingen in der landwirtschaftlichen Produktion nicht nur, dass die Arbeitsmaschine zugleich eine Kontrollmaschine sein muss. Sie erfordert die planmäßige Umgestaltung der Natur. Ihre industrielle Aneignung muss „definieren, identifizieren, extrahieren“, wie es der Umweltforscher Christoph Görg ausdrückt. Die Unternehmen verändern die Lebewesen durch Züchtung mit dem Ziel, sie ertragreich, gleichförmig und robust genug zu machen, um sie zu verpacken und zu transportieren. Auf möglichst großen Flächen siedeln sie die gleichen Exemplare an, sie schaffen Monokulturen, weil nur so eine Rationalisierung möglich ist.

... Die „intensive Tierzucht“ und „intensive Landwirtschaft“ verbinden hohen Kapitaleinsatz, einen massiven Energie- und Chemikalienverbrauch mit minimalem Arbeitseinsatz. Aber sie überfordern auf viele Arten die Möglichkeit der Natur, als Senke für schädliche Abfälle und als Quelle zu dienen. „Seit einigen Jahren steigt die (produzierte) Menge kaum mehr“, konstatiert Jan Grossarth. „Die Böden verlieren an Humus.“ Die Nebenwirkungen der weltweiten Waren- und Materialströme zerstören die Lebensgrundlagen zahlreicher Gattungen. Die vermeintlichen Monokulturen lassen sich nur um den Preis zunehmend aufwendiger Schutzmaßnahmen aufrechterhalten. Der Verbrennungsmotor und das Verfeuern der fossilen Energieträger insgesamt verursacht bekanntlich die Klimaerwärmung, die sich gegenwärtig beschleunigt. Die Industrialisierung der Landwirtschaft beinhaltet schöpferische Zerstörung, aber dies nicht nur im Sinne Joseph Schumpeters, indem sie überholte Herstellungsverfahren vernichtet. Ihre Produktion ist zerstörerisch, weil sie unsere Lebensgrundlagen aufbraucht.

Vor diesem Hintergrund ist die digitale Revolution in der Landwirtschaft eine äußerst konservative Veranstaltung. Die Digitalisierung in den Agrarfabriken dient dazu, Technologien und Geschäftsmodelle zu retten, die unter Druck stehen. Sie sollen die Menge der ausgebrachten Pestizide und Stickstoffe senken – ob dies gelingt, ist übrigens völlig unklar –, auch den Energieverbrauch, damit die bestehenden Eigentumsverhältnisse, Transportketten und Stoffwechselkreisläufe erhalten bleiben.