Dienstag, 22. März 2022

Eine Welt - oder keine Welt


Die kapitalistische Globalisierung hat eine Welt geschaffen und gleichzeitig die Interessensgegensätze zwischen den "nationalen Wettbewerbsstaaten" äußerst gesteigert. Die internationale Arbeitsteilung und die gegenseitige Abhängigkeit durch globale Wertschöpfungsketten sind immer größer geworden (ein Prozess, der, je nach Zählweise und Definition, fünf Jahrzehnte oder acht Jahrzehnte oder sogar über zwei Jahrhunderte andauerte). Was bedeuten die "Schwächung des Multiateralismus", die geopolische Eskalation durch den Krieg in der Ukraine und die immer schärfere Konfrontation zwischen den Weltmächten? Darüber habe ich für Telepolis einen zweiteiligen Artikel geschrieben.

Teil 1: Der Ukraine-Krieg als Menetekel

Teil 2: Ein Wendepunkt der Globalisierung

Ein Aspekt der umfassenden Krise ist die "Welle der Autokratisierung". Meines Erachtens dürfen wir den Populismus mit seiner Fixierung auf Personen nicht mit ebenso populistischen Theorie erklären. Um es zuzuspitzen, die Nationen bekommen die "starken Führer", die sie verdienen. Die Massenbasis des Nationalismus ist das eigentliche Problem.

Die kapitalistische Globalisierung hat die Möglichkeiten, das eigene Leben ohne Lohnarbeit und unabhängig von den Weltmärkten zu erhalten, zerstört und die soziale Ungleichheit extrem gesteigert, sodass heutzutage die einen zum Spaß ins All fliegen, während die anderen an Masern sterben, wie in Afghanistan gerade der Fall. Sie hat tatsächlich eine Welt geschaffen – eine integrierte, wenn auch tief gespaltene Einheit. Die Komponenten unserer Telefone und die Zutaten für unser Essen überqueren zahllose Ländergrenzen und sogar Kontinente. Die Treibhausgase, die hierzulande freigesetzt werden, verändern die Niederschläge in Indien. Die Infektionen, die in China entsteht, erreichen Deutschland innerhalb weniger Tage.

Eine Strategie, die in dieser Lage auf Aufrüstung und Abschottung setzt, ist aussichtslos. Sie wird die Abfolge immer neuer Katastrophen nur beschleunigen. Nationale Souveränität ist objektiv anachronistisch in einer Welt, in der sich das Schicksal einer Nation auf dem ganzen Planeten entscheidet (jedenfalls wenn darunter nationale Selbstbestimmung verstanden wird).

Zwar spricht einiges dafür, Landwirtschaft und industrielle Fertigung möglichst dort anzusiedeln, wo die Erzeugnisse konsumiert werden, weil sonst für den Transport Treibhausgase freigesetzt werden müssen. Dennoch ist der weltweite Austausch von Wissen, Lebensmitteln und Rohstoffen gerade wegen der Klimakrise notwendiger denn je. Nur so lassen sich Missernten und andere Folgen extremerer Wetterlagen abfedern. Nur so können die erneuerbaren Energiequellen in vollem Maß ausgeschöpft werden. Und nur wenn sich die Lebenschancen weltweit angleichen, ist ein gemeinsames Vorgehen überhaupt vorstellbar.

So utopisch das klingt, ist es doch realistischer als die Politik einer Regierung, die beispielsweise angesichts steigender Energiepreise ernsthaft einen Rabatt an der Tankstelle vorschlägt. Aber nicht nur die politische Klasse leidet unter Realitätsverlust. Vielmehr bedienen die Politiker echte Bedürfnisse des Wahlvolks – nach Beruhigung, Bestätigung und tauglichen Feindbildern.

Diese Politik zehrt von der Angst. So verständlich und angebracht dieses Gefühl sein mag, so schädlich ist die Neigung, schlechte Beruhigungsmittel zu sich zu nehmen. Zu akzeptieren, dass es nicht mehr weitergeht wie bisher, fällt schwer. Gerade die krisenhaften Seiten der Globalisierung – ausländische Autokraten, Migration, internationale Wirtschaftskonkurrenz, Klimawandel – wecken Wunschvorstellungen von nationaler Souveränität und Autarkie. Es ist der Traum vom Rückzug hinter sichere Mauern und der Rückkehr zum gewohnten Alltag, "Deutschland normal" oder ein Bullerbü hinter Stacheldraht. Dieser Weg ist versperrt.