Samstag, 26. Juli 2008

Wissenschaftlicher Herdentrieb

In der FAZ kritisiert Jürgen Kaube die "bibliometrische Verblendung", wissenschaftliche Leistungen könnten anhand der Häufigkeit des Zitiert-Werdens beurteilt werden, wie es im letzten Jahrzehnt üblich wurde.
An manchen Universitäten in manchen Ländern hängen von den entsprechenden Publikationserfolgen in erheblichem Maße die Mittelzuweisungen, Gehälter und Karrieren ab.

(Wohl wahr, und, nicht zu vergessen, von der Drittmittelanwerbung: Wer hat, dem wird gegeben. Beziehungsweise: die Firma, die nötige Grundlagenforschung außer Haus an einer öffentlichen Einrichtung betreiben läßt, wird staatlich subventioniert!) Kaube stellt fest:
Doch nicht nur die Messung von Zitationen, das Zitiertwerden als solches ist ein völlig dubioses Kriterium. Jeder Forscher weiß, dass zitiert zu werden und gelesen worden zu sein, zwei völlig verschiedene Dinge sind. Die Vermutung, ein Verweis besage „Dieser Beitrag war mir nützlich“, erlaubt noch nicht zu ermitteln, wozu der entsprechende Aufsatz nützlich war. Oft nur um zitiert zu werden, um Informiertheit und Fleiß auszudrücken; mitunter auch, um Dankesschulden an Nahestehenden abzutragen oder um ein Ambiente für die eigenen Thesen und Befunde zu schaffen. Wie oft hört man nicht von Gutachtern, die an eingereichten Aufsätzen nur beanstanden, dass sie selbst nicht zitiert worden sind, oder von Herausgebern, die Autoren dazu einladen, am Impact-Faktor des betreffenden Journals mitzuarbeiten.

Mir fällt noch mehr ein: zum Beispiel, dass eine Fußnote nicht bedeutet, dass der betreffende Aufsatz auch verstanden wurde. Aber es ist ja wahr, peer review dieser Art ist von Seilschaften geprägt, es bilden sich "Zitationskartelle", mit denen Wissenschaftler sich gegenseitig in den Statistiken nach oben hieven.
Kaube beschreibt die Problematik der einzelnen verwendeten statistischen Verfahren, um dann indigniert zu fragen
Wie muss es um die Wissenschaftlichkeit, um nicht zu sagen, um den Verstand von Kommissionen bestellt sein, die auf solche Argumente nicht von selber kommen?

Überhaupt werden mir die elitär-konservativen Positionen in der Bildungspolitik (von Kaube oder Heike Schmoll) immer sympathischer, je genauer die deutschen Behörden bemühen, den neoliberalen angloamerikanische Bildungs-Irrsinn zu kopieren versuchen.
Eine naheliegende Kritik erwähnt Kaube allerdings nicht: dass die Beurteilung anhand von Zitationsstatistiken wirksam den Opportunismus fördert. Abseitige, unkonventionelle und Minderheitenstandpunkte werden bestraft, der peer review mit ökonomischen Folgen stellt sicher, dass der wissenschaftliche Fortschritt im Rudel vorwärts taumelt. (Nicht, dass es an den deutschen Honoratioren-Universitäten viele Ninkonformisten gäbe ...)