Montag, 1. September 2008

"Trauerarbeit"

1939. Das Wetter: schlecht. Die Vögel: verängstigt. Die Sowjetunion liefert der Gestapo deutsch-jüdische Antifaschisten aus.

So oder ähnlich beginnt Adamczaks "Gestern morgen". Ich habe gerade meine Besprechung ihres geschichtsphilosophischen Essays ins Netz gestellt. In der Jungen Welt ist natürlich jede Stalinismuskritik willkommen. Deshalb habe ich mich mit meiner Kritik zurückgehalten. Schließlich ist es gut gemeint und das Thema tatsächlich wichtig.
Aber - abgesehen von der in der Rezension monierte Pfaffenprosa - dieses Buch ist in mancher Hinsicht symptomatisch für die linksintellektuelle Misere in Deutschland. Da wird zum Beispiel unumwunden den real existierenden Proletarierinnen und Proletariern bescheinigt, sie sprächen einen "restricted code" – wie schön wäre es, die Akademiker problematisierten gelegentlich das Zustandekommen der eigenen Sprech- und Denkweise! Symptomatisch ist auch, dass die Autorin an den historischen Prozeß ausschließlich über seine theoretische Verarbeitung herangeht. Von den zeitgenössischen Kämpfen erfährt der Leser kaum etwas. Ihre Kritik am Leninismus geht noch nicht weit genug, weil sie dessen Behauptung, in der Partei spiegele sich das Klassenbewusstsein, "wie es sein sollte", für bare Münze nimmt. Ein Reisedokument, hoffentlich!