Montag, 30. April 2012

"Angst ist die ansteckendste Krankheit überhaupt"

Was motiviert und wie denken Impfgegner? Warum sind es vor allem sehr arme und ganz reiche Menschen, die ihre Kinder nicht impfen lassen? Wie könnte eine vernünftige Berichterstattung über Impfungen und ihre Vor- und Nachteile aussehen?

Darüber habe ich für Telepolis mit dem amerikanischen Journalisten Seth Mnookin gesprochen, der mit "The Panic Virus" sozusagen eine Kritik der Impfkritik vorgelegt hat. (Mehr Infos auf deutsch über Mnookins Buch gibt es hier.)
Die individualistische Vorstellung ist ganz falsch, die Menschen könnten ihre medizinische Entscheidungen danach treffen, "was für sie persönlich das beste ist". Im Fall des Infektionsschutzes sind die Konsequenzen einer Entscheidung nicht auf die Entscheider begrenzt. Was die anderen tun oder auch nicht tun, hat unweigerlich Konsequenzen auch für mich.
(...)
Gerade weil vielerorts die Herdenimmunität gegen Krankheiten wie die Masern erreicht wurde, können Eltern sich sozusagen als Trittbrettfahrer verhalten. Auch wenn sie dem eigenen Kind mögliche Nebenwirkungen einer Impfung ersparen, bleibt das Ansteckungsrisiko klein.

Die Nachteile und Probleme von Impfungen werden in dem Interview leider nur pauschal als solche genannt; auf sie eingehen konnten wir aus Zeit- und Platzgründen nicht (was jetzt im Telepolis-Forum zurecht bemängelt wird).

Mnookins Kritik am atomistischen Charakter der Argumente für und wider Impfungen finde ich besonders wichtig. Es ist bezeichnend, dass sich beispielsweise deutsche Impfgegner "Ärzte für individuelle Impfentscheidung" nennen. Um es etwas boshaft und ideologiekritisch zu formulieren: Vielleicht gehört auch das zu einer Erklärung der erstaunlichen Tatsache, dass die Trittbrettfahrerei in der Ober- und oberen Mittelschicht besonders weit verbreitet ist. Infektionen erinnern uns nämlich daran, dass wir trotz allem in einer Gesellschaft leben; aber der unvermeidbare soziale Zusammenhang - meine individuelle Entscheidung ist notwendigerweise auch eine soziale Entscheidung - ist in der bürgerlichen Vorstellungen von Gesellschaft nicht wirklich vorgesehen. Herdenimmnität darf dann als Argument keine Rolle spielen Dass die negativen Folgen für die anderen so beharrlich ausgeblendet und negiert werden, entspricht dem Sozial-Darwinismus, den die Bürger ja ohnehin alltäglich praktizieren - die (Immun-)Starken überleben, die Schwachen nicht.