Freitag, 8. November 2013

Die "Strafsteuer für Dicke" ist eine Strafsteuer für die Armen.

Die Bild-Schlagzeile bringt ziemlich gut auf den Punkt, was konservative und sozialdemokratische Gesundheitspolitiker offenbar gerade aushecken.
Edgar Franke, Mitglied des Bundestags-Gesundheitsausschusses, zu BILD: „Übergewicht und Fettleibigkeit sind Hauptrisikofaktoren für Bluthochdruck, Herz- und Kreislauferkrankungen, Diabetes und Krebs. Eine Gesundheitssteuer auf besonders fetthaltige und zuckerreiche Nahrungsmittel wie Chips, Fastfood und extrem kalorienreiche Süßigkeiten würde das Ernährungsbewusstsein vieler Menschen mit Übergewicht schärfen und könnte so eine gesundheitspolitisch wünschenswerte Veränderung des Essgewohnheiten bewirken.“ Franke schlägt einen „Aufschlag in Höhe des halben Mehrwertsteuersatzes“ auf Produkte mit umgerechnet mehr als 275 Kalorien je 100 Gramm vor.
Dabei geht es, sagt das sozialdemokratische Mitglied im Gesundheitsausschuss des Bundestags, nicht etwa um eine gesundheitspolitisch verbrämte Steuererhöhung, sondern um die "Volksgesundheit". Frankes Kollege im Gesundheitsauschuss, Erwin Rüddel von der CDU, signalisiert Zustimmung. Die Chance stehen also gut,  dass eine Zucker/Fett-Steuer kommt. Sie stehen also schlecht. Argumentiert wird mit der Sorge um die Gesundheit:
Experten schätzen die jährlichen Kosten infolge der durch Übergewicht verursachten Krankheiten auf rund 17 Milliarden Euro. Übergewicht kann unter anderem Diabetes, Herzinfarkt, Schlaganfall, Gelenkschäden sowie Darm-, Prostata- und Brustkrebs verursachen.

SPD-Mann Franke will deshalb die Mehreinnahmen aus der „Dicken-Steuer“ vor allem für zusätzliche Präventionsmaßnahmen verwendet wissen.
Den Experten möchte ich kennenlernen, der die Krankheitskosten, die durch Diabetes oder Herzinfarkte verursacht werden, einfach mal so aufs "Übergewicht" zurückführt und dabei ein ernstes Gesicht behält.
Als ich mich vor kurzem mit Krankheitsprävention und Diabetes beschäftigt habe, habe ich jedenfalls keinen gefunden. Mediziner wissen nämlich, dass diese Krankheiten multifaktoriell und degenerativ sind, sprich: Übergewicht an sich macht überhaupt kein bisschen krank. Sorry to say. Und: go figure.

Den Präventionsirrsinn zu verstehen, fällt mir schwer. Hier ist eine Fragestellung für gleich mehrere Promotionen und für mindestens ein Kolloquium: Warum machen die das eigentlich, wenn es doch keine guten medizinischen Argumente dafür gibt?
So viel ist klar: Es geht um die Ideologie, dass leistungsstarke Körper schlank sein müssten. Es geht um die Lust am Verhöhnen und Bevormunden dicker Menschen. Bei diesem Vorschlag geht es aber in erster Linie ums Geld.
Der völlig willkürlich festgelegte Kalorien-Grenzwert von 275 Kalorien auf 100 Gramm betrifft nicht nur leckeres Zuckerzeugs, sondern beispielsweise auch Curry-Wurst, Nüsse und manche Brotsorten. Eine kurze Rechnung, um die fiskalische Dimension von diesem "Vorstoß" zu beleuchten:
Ein Pide-Weißbrot hat mehr 275 Kalorien auf 100 Gramm.
Es kostet, der Einfachheit halber, 1 Euro.
Im Preis enthalten sind jetzt 7 Cent Mehrwertsteuer, die an den Staat gehen.
Künfig also 10,5 Cent?
Jeden Tag werden, keine Ahnnung, sagen wir: 3 Millionen Pide-Fladen gekauft und verzehrt. (Ich jedenfalls steigere regelmäßig den Absatz.)
Es entstehen Mehreinnahmen von 105 000 Euro.
Am Tag.
Nur für Pide!
Frankes "Gesundheitssteuer" hätte den "Vorteil", dass sie gar nicht so richtig als Steuererhöhung wahrgenomen würde und gleichzeitig die Armen besonders hart trifft, weil die ihr bisschen Geld für Essen (und Miete) ausgeben müssen, während eine Preiserhöhung von 3,5 Prozent Reichen ziemlich egal sein kann.
"Gesundheitssteuer", ja? Mal sehen, ob Edgar Franke ein ernstes Gesicht behalten kann, wenn der neue Koalitionsvertrag vorgestellt wird und dieser monströse Vorschlag drin steht.


Kurze Ergänzung: Gerade ist bei Telepolis ein kurzer, aber etwas ausführlicherer Kommentar von mir zum Thema erschienen.