Dienstag, 14. September 2010

Sarrazin, die Springer-Presse und halb Deutschland als verfolgende Unschuld


Im Verlauf der öffentlichen Auseinandersetzung um seine in Buchform gepressten rassistischen Ausfälle gelang es Sarrazin und seinen Unterstützern aus Politik und Medien, einen essenziellen zivilisatorischen Mindeststandard in der BRD zu schleifen (...) : Offen rassistische oder antisemitische, klar auf neofaschistischer Ideologie aufbauende Positionen und Äußerungen wurden in der Öffentlichkeit nicht toleriert.

In seinem Blog analysiert Tomasz Konicz die gegenwärtige Hetzkampagne "von und mit" Thilo Sarrazin. Ich bin nicht mit allen seinen Thesen einverstanden, aber Konicz arbeitet hervoragend heraus,

- dass die neue Qualität der Hetze darin besteht, dass nun explizit biologisch und eugenisch argumentiert werden darf

- dass der erschreckende rassistische Sog, den seine Thesen entfalten, sich aus der Angst vor der Krise speist, die die Kleinbürger und Facharbeiter um die letzen Verstandesreste bringt

Es ist, als ob ein Damm gebrochen sei und nun sich eine braune Flut über die Republik ergießt. Endlich will der deutsche Mann ohne Rücksicht auf „politisch korrekte Tabus“ diejenigen Menschen offen hassen und verachten dürfen, die bereits marginalisiert, ausgeschlossen und pauperisiert wurden – ganz wie es Sarrazin vormacht.

Klassisch, aber wohl nicht falsch ist Koniczs (faschismus-)theoretische Erklärung dessen, was wir gerade erleben müssen:
Der Riss in der veröffentlichen Meinung deutet auf einen strategischen Umschwung bei einer Minderheit der Funktionsträger aus Kapital, Meiden und Politik hin, die nun sich eine faschistische Option bei weiterer Krisenbewältigung offenhalten wollen. Sarrazin findet aber nur bei den "reaktionärsten und chauvinistischsten" (Dimitroff) Teilen der Funktionseliten und der herrschenden Klasse der BRD derzeit tatsächlich Unterstützung. Die hohe Abhängigkeit der dominanten deutschen Exportindustrie von den Auslandsmärkten, die gerade vermittels einer erneuten Exportoffensive die Dynamik der Weltwirtschaftskrise zu durchbrechen hofft, verhindert eine weitgehende Unterstützung einer neofaschistischen Partei durch breite Kreise des deutschen Kapitals.